Kuss der Ewigkeit
sich als heimatloses Kätzchen auszugeben, weißt du herzlich wenig über Haustiere.«
» Nur weil ich Bobby nicht tragen… Moment mal!« Das Blut wich mir aus dem Gesicht, und ich starrte Nathanial an. » Woher weißt du das?«
» Wie ich dem Richter bereits sagte, ich habe in deinen Gedanken gelesen. Entspann dich. Du musst damit aufhören, dein Blut so durch den Körper rauschen zu lassen. Du verschwendest es nur, und dein Vorrat ist im Augenblick niedrig.«
Um meine Verlegenheit zu verbergen, blickte ich von Nathanial fort und konzentrierte mich auf Bobby. » Findest du das erbärmlich– eine reinblütige Gestaltwandlerin, die sich bei einsamen alten Frauen und Kindern als Haustier ausgibt, um zu überleben?«
Bobby zwinkerte mit seinen mandelförmigen Augen, und ich wandte den Blick ab. Ich wollte die Antwort gar nicht wissen. Ich fand mich erbärmlich genug für uns beide.
» Ich finde, es war einfallsreich«, meinte Nathanial.
» Ja nun, du bist nicht von meiner Art.«
» Du bist jetzt von meiner Art.«
Brüsk wandte ich mich von ihm ab und marschierte auf die Straße hinaus. » Wie kommen wir zu dem Krankenhaus?«
Nathanial deutete auf eine Treppe, die unter die Erde führte. » Ich würde die U-Bahn vorschlagen.«
Die U-Bahnstation roch nach Jahrzehnten verschwitzter Körper, Müll und– widerlich genug– Urin. Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken. Außer uns befand sich nur noch ein einziger Passagier auf dem Bahnsteig, doch er stieg in den nächsten Zug und ließ uns alleine zurück. Wenn die Züge einfuhren, wurde es in der U-Bahnstation unangenehm laut, doch dazwischen herrschte geradezu unheimliche Stille.
Gil hatte Bobby in seiner Kleidertüte versteckt. Nach der Art und Weise zu urteilen, mit der er uns aus schmalen Augen durch die Öffnung der Tasche heraus beobachtete, war er von der Situation nicht sonderlich begeistert.
Nathanial fragte Gil über die Schule aus, die sie in Sabin besuchte, doch ich konnte mich auf die Unterhaltung nicht konzentrieren. Wie konnte er sich in Anbetracht unserer Umstände nur mit belanglosem Small Talk beschäftigen?
» Was hat das alles hier eigentlich mit mir zu tun?«, platzte es aus mir heraus, und die beiden sahen überrascht aus, dass sie unterbrochen worden waren.
Bobby sah in seiner Tasche weiter übellaunig aus.
» Was?« Nathanial nahm seine Brille ab.
» Warum ich? Warum denkt der Richter, dass ich für den gefährlichen Einzelgänger verantwortlich bin?« Das fragte ich mich schon, seit wir die U-Bahn erreicht hatten. Nicht nur der Richter war es, der dachte, dass ich den Einzelgänger erschaffen hatte, die Jäger aus Firth suchten ebenfalls nach mir.
Von den Ereignissen der letzten beiden Nächte einmal abgesehen war in letzter Zeit nichts Ungewöhnliches vorgefallen, und ich hatte mich nicht mehr in meine Zwischengestalt verwandelt, seit ich von Firth fortgegangen war. Die Geschichte, die ich auf dem Rave gehört hatte, ging mir nicht mehr aus dem Sinn. Über diese » Halluzination«, die sich als tödlich herausgestellt hatte. Irgendjemand hatte sich unter Menschen in seine Zwischengestalt verwandelt, doch ich war es nicht gewesen.
Gil wandte den Blick ab, dann antwortete sie: » Bevor ich aufbrach, holte ich von den Ermittlern in Sabin so viele Informationen ein, wie ich konnte. Der früheste damit in Zusammenhang stehende Vorfall ereignete sich vor ungefähr drei Monaten in einer Stadt namens Demur.«
» Demur?«
» Warst du dort?«
» Nein.« Na ja, vermutlich schon. Der Name kam mir bekannt vor, doch das machte die Stadt nicht zu etwas Besonderem. In den letzten paar Jahren war ich in Hunderten von Städten gewesen. Zuzugeben, dass Demur eine davon war, war nicht in meinem besten Interesse. » Was hat ein Vorfall in Demur mit einem Einzelgänger in Haven zu tun?«
» Dazu komme ich noch.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. » Wie ich schon sagte, vor drei Monaten wurden vier Männer mit Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert, die von den Klauen einer sehr großen Katze stammten. Als man sie bat zu erklären, was passiert war, sagten sie in ziemlich unschönen Worten, dass sie von einer Frau mit merkwürdig gefärbten Haaren angegriffen worden waren. Der Vorfall wurde als verdächtig eingestuft, aber nicht eingehender untersucht. Kurz darauf wurden in Demur die ersten beiden Opfer des Einzelgängers gefunden, dann zog er anscheinend nach Haven weiter. Den Aufzeichnungen von Sabin zufolge warst du die einzige
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