Kuss der Nacht - Band 02
Domizil war sogar noch eindrucksvoller als das vorige, ein richtiges kleines Schloss. Unheimliche Schatten erfüllten den Garten, und dekorativ aufgestellte Fackeln setzten dramatische Akzente. Starre Skulpturen wirkten mal einladend, mal drohend und manchmal sogar regelrecht barbarisch. Als wir durch eine Marmorpergola gingen, fragte ich mich beiläufig, ob die altgriechisch anmutenden Stücke wohl Originale waren. Kannte man Ians Vorliebe für Seltenes und Wertvolles, war das durchaus möglich.
Die geballte übernatürliche Energie, die mir entgegenschlug, als die Türen des Anwesens sich öffneten, ließ mich innehalten. So viele untote Kraftströme luden die Atmosphäre auf, dass ich fast das Gefühl hatte, in ein unter Strom gesetztes Wasserbecken getaucht zu sein. Grundgütiger, was für Kreaturen waren das nur? Jetzt wurde mir doch etwas mulmig. Hier war die Oberliga versammelt, und ich wusste nicht so recht, ob ich da mitspielen konnte. Für einen Rückzieher war es jetzt allerdings zu spät.
Vampire und Ghule säumten meinen Weg, als wir in die Empfangshalle traten. Schwer ruhten ihre Blicke auf mir, aber ich sah stur geradeaus und konzentrierte mich darauf, meine Knie vom Schlottern abzuhalten. Bloß keine Angst zeigen. So etwas würde mich nur zum Freiwild machen.
Zwei Vampirbedienstete öffneten eine riesige, mit imposanten Schnitzereien verzierte Flügeltür. Spade bedeutete mir hindurchzugehen. Ich straffte die Schultern, richtete mich zu voller Größe auf und trat so lässig in die Höhle des Löwen, als wäre ich Aschenputtel auf dem Weg zum Ball.
Die Donnerkuppel, war mein erster Gedanke. Eine barock anmutende, luxuriöse Ausgabe davon. Ein Amphitheater aus üppigen Sesseln, Sofas und Podesten, in dessen Mitte sich eine quadratische Plattform auftat, die ganz wie eine Bühne wirkte. Wie in einem Stadion waren die Zuschauersitze in ansteigenden Reihen angeordnet, sodass man von jedem Platz einen guten Blick auf die ominöse Plattform im Zentrum hatte. Da der einzige Weg direkt dorthin führte, ging ich eben darauf zu. Bei meinem Auftauchen war das Gemurmel so vielstimmig, dass man kaum etwas verstand. Anscheinend war ich heute Abend die Hauptattraktion. Wie schmeichelhaft. Ich brauchte all meine Willenskraft, um nicht zwischen den vielen unbekannten Gesichtern das meines Geliebten zu suchen. Bones war hier. Selbst in dem strudelnden Energiegewirr konnte ich ihn spüren. Verdammt, nach all dem Blut, das ich in der Nacht zuvor gekippt hatte, konnte ich ihn sogar riechen.
Mir gegenüber thronte Ian wie ein Fürst in seiner Loge. Der niedrigste Balkon lag eine Ebene über der Plattform, und so hob ich den Kopf, um ihn mit gespielter Überraschung anzusehen.
»Du steckst also hinter all dem? Geschieht mir ganz recht. Ich hätte damals eben doch das Messer herumdrehen sollen. Komm runter zu mir, dann hole ich das nach.«
Auch Ian hatte sich fein herausgeputzt. Er trug ein altmodisches wallendes Hemd mit Rüschen aus antiker Spitze im Stil des späten siebzehnten Jahrhunderts. Die perlweiße Farbe entsprach beinahe seinem Hautton, und sein kastanienbraunes Haar war sorgfältig frisiert. Türkisblaue Augen blitzten mich erwartungsvoll an.
»Dein altbackener Hosenanzug wurde deiner Schönheit wahrlich nicht gerecht, Catherine. Du siehst schlichtweg überwältigend aus.«
»Ein für allemal: Ich heiße Cat. Gut, dass es so viele mitkriegen, dann muss ich mich in Zukunft nicht ständig wiederholen.« Nun, da mich alle Anwesenden gesehen hatten, brauchte ich meinen Künstlernamen wohl nicht länger geheim zu halten.
»Also, ich habe meinen Arsch aus gutem Grund hierhergeschleppt. Bestimmt nicht, um mir anzuhören, wie gut dir mein Kleid gefällt. Wo sind meine Männer? Und was willst du? Muss ja eine Riesensache sein, wenn du mich deshalb beschatten und erpressen lässt.«
Ein überlegenes Lächeln lag auf Ians Lippen, als er im Vollgefühl seiner scheinbaren Überlegenheit antwortete: »Bedanke dich bei deinem alten Freund. Der hat mir nämlich geholfen, dich aufzuspüren, Cat. Ich habe so das Gefühl, du erinnerst dich noch an ihn. Crispin, begrüße deinen ehemaligen Schützling.«
»Hallo, Süße. Lange nicht geschmeckt«, hörte ich eine Stimme von oben. Als ich mich ihr zuwandte, musste ich ein Grinsen unterdrücken.
Ich mochte voreingenommen sein, fand aber, dass Bones besser aussah als Ian. Und als ich sein Haar bemerkte, konnte ich mir ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Während meiner
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