Kuss der Nacht - Band 02
Doppelseitiges Klebeband sollte verhindern, dass die beiden Stoffstreifen, aus denen das Oberteil bestand, meine Brüste freigaben. Das angesetzte Unterteil hatte hohe Beinausschnitte; lediglich ein wenig hauchzarter, durchscheinender Stoff, der mir über die Oberschenkel fiel und sich bei jeder Bewegung bauschte, sorgte dafür, dass die Kreation nicht völlig obszön wirkte.
Eins stand fest: Meine Beweglichkeit schränkte dieses Kleid nicht ein. Dafür bestand es einfach aus zu wenig Stoff.
Nachdem ich Make-up aufgelegt hatte, klingelte wie auf Bestellung das neue Handy. Eine unbekannte Stimme meldete sich.
»Gevatterin, wir treffen uns an der Überführung Fünfundvierzigste und Wilkes. Besser, du kommst allein. Inzwischen solltest du wissen, dass wir vier deiner Männer in unserer Gewalt haben, und wir brauchen nicht alle.«
Wie charmant. Nicht mal ein Hallo. »Akzeptiert, aber wenn einer von ihnen stirbt, bist du als Nächster dran.«
Schon war ich unterwegs zum Parkplatz, die neuen Autoschlüssel in der Hand. Sie gehörten zu dem blauen Explorer, der nahe der Einfahrt stand. Im Losfahren schnallte ich mich noch schnell an. Ein Abgang durch die Windschutzscheibe war für heute Abend nämlich nicht geplant. Jedenfalls soweit ich wusste.
Am Treffpunkt warteten zwei Wagen auf mich, in denen jeweils vier Vampire saßen.
»Bringen wir's hinter uns, Jungs«, begrüßte ich sie.
Acht Augenpaare musterten mich vom Kopf bis zu den Stiletto-bewehrten Füßen. Hilfsbereit drehte ich mich mit ausgestreckten Armen im Kreis.
»Ihr könnte mich gerne nach Waffen absuchen, aber ich bin keine Mogelpackung. Seid ihr bald fertig mit Glotzen? Ich habe noch eine Verabredung mit eurem Boss, wer er auch sein mag.«
»Hallo, Schätzchen«, hörte ich hinter mir eine Stimme mit ausgeprägtem britischen Akzent.
Ich wirbelte herum und sah einen hochgewachsenen Vampir mit langen, abstehenden schwarzen Haaren an der Leitplanke lehnen. Der war einen Augenblick zuvor noch nicht da gewesen. Seine Aura wies ihn als den stärksten der Gruppe aus, ein Meistervampir, und ich begegnete ihm nicht zum ersten Mal.
»Wo ich herkomme, pflegt man sich vorzustellen, bevor man jemanden mit sexistischen Spitznamen beleidigt, aber vielleicht hast du ja einfach keine Kinderstube.«
Er lächelte, stellte sich artig in Positur und machte einen Diener, der an Eleganz nach wie vor unübertroffen war.
»Natürlich. Wie unhöflich von mir. Ich bin Spade.«
Nach außen hin blieb ich ungerührt, aber innerlich war ich erleichtert. Spade war Bones' bester Freund. Als wir uns vor Jahren über den Weg gelaufen waren, hatte ich ihn automatisch für einen der bösen Buben gehalten und versucht, ihm den Schädel zu spalten. Als Bones eingetroffen war und mir erklärt hatte, wer Spade eigentlich war, hatte der sich die Kleidung abgeklopft und mich für die wenig höfliche Begrüßung getadelt.
»Spade. Hübscher Name. Hast du den aus einem Comic oder so?«
Ich wusste natürlich, weshalb er den Namen gewählt hatte. Spade war zusammen mit Bones als Strafgefangener nach Neusüdwales gekommen. Der Aufseher hatte den ehemaligen Baron Charles DeMortimer nach seinem Arbeitsgerät, dem Spaten, benannt. Den Namen hatte er behalten, damit er ihn stets an seine damalige Hilflosigkeit erinnerte.
Spades Mundwinkel zuckten kurz, aber er fing sich wieder. »Ich denke nachher noch einmal über meine Namenswahl nach, Engel. Wenn du dich bitte hierher bemühen würdest. Ich muss dich nach Waffen absuchen.«
Die anderen acht Vampire umringten uns, während Spade mich langsam und sorgfältig abtastete. Als er fertig war, trat ein leises Lächeln auf sein Gesicht.
»Jetzt freut es mich sehr, deine Bekanntschaft zu machen.« Er neigte den Kopf in Richtung des einen Wagens. »Nach dir.«
Wir fuhren zu einer einsamen Straße, an der ein Helikopter auf uns wartete. Niemand sprach mehr. Beim Start trommelte ich mit den Fingern auf meinen Oberschenkel. Die Vampire hörten nicht auf, mich zu beglotzen, aber ich beachtete sie gar nicht. Auch Spade schwieg, grinste mich aber ab und zu von der Seite her an. Knapp zwei Stunden später waren wir angekommen. Ich hatte keine Uhr, glaubte aber, dass es etwa halb zwölf sein musste. Bald also. Sehr bald. Im Stillen betete ich darum, dass, abgesehen von meinem Vater, heute Nacht niemand sein Leben lassen musste. Dann stieg ich aus. Die Party konnte beginnen.
Ian gefiel sich offenbar in der Rolle des vornehmen Gastgebers. Sein jetziges
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