Kuss der Nacht - Band 02
Abstammung berichtet, aber jetzt konnten sie sich mit eigenen Augen überzeugen.
»Schick mir deinen besten Mann, Ian. Ich bin bereit.«
Er lächelte. »Willst du dir nicht erst noch von deinem Ex-Freund Glück wünschen lassen?« Mit diesen Worten deutete er an die Decke über mir.
Ich sah hoch - und traute meinen Augen nicht. Verdammter Mist. In einem unter der Kuppeldecke baumelnden Käfig saß Noah. Vogelperspektive im doppelten Sinne. Er konnte alles ganz genau mitverfolgen. Was für ein beschissenes Los, von oben zusehen zu müssen, wie das eigene Schicksal entschieden wurde, und selbst nichts tun zu können.
Das grüne Licht meiner Augen fiel auf Noahs Gesicht, der entsetzt auf mich heruntersah. Ich hatte stets gewusst, dass er mich so ansehen würde, wenn er erfuhr, was ich wirklich war. Recht zu haben war nicht immer angenehm.
»Grendel«, rief Ian. »Würdest du mir dieses Halbblut gerne zum Geschenk machen?«
Vom anderen Saalende her ertönte ein Lachen. Ein glatzköpfiger Kerl erhob sich und stieß zur Bestätigung einen langgezogenen Pfiff aus.
»Ich bringe sie dir, Ian. Wird mir ein Vergnügen sein, sie gefügig zu machen.«
Ich musterte meinen Herausforderer von oben bis unten. Oh oh. Das könnte ein Problem werden.
36
Der Mann, der dort stand, war bestimmt über zwei Meter groß, mit Armen dicker als meine Taille und Beinen wie hautbespannte Baumstämme. Für jemanden seiner Größe kam er ziemlich flink und leichtfüßig den Gang entlang, und mir wurde ganz flau im Magen. Massig und schnell; gar nicht gut. Das Schlimmste aber war, dass der Riese, der jetzt in den Ring sprang, gar kein Vampir war. Er war ein Ghul. Ich konnte ihm meine Silberabsätze ins Herz stoßen bis zum Sankt Nimmerleinstag, und es würde ihn nicht umbringen. Und als Ersatz für ein Schwert, mit dem ich ihm den Kopf hätte abschlagen können, taugten meine hohen Hacken auch nicht. Na dann. Die Sache versprach, interessant zu werden.
Ian schenkte mir ein siegessicheres Grinsen. »Weißt du, wer das ist, Cat? Das ist Grendel, der berühmte Ghul-Söldner. Er ist fast sechshundert Jahre alt, ein ehemaliger stradioti der venezianischen Streitkräfte. Grendel wurde nach der Anzahl der Köpfe bezahlt, die er in der Schlacht abschlug, und damals, meine süße Kleine, war er noch ein Mensch.«
Ich fing Bones' Blick auf. Er zog die Brauen hoch. Soll ich eingreifen?, hieß das. Würde er seine Besitzrechte geltend machen, konnte er all dem ein Ende bereiten, das wusste ich. Und sein Gesichtsausdruck machte deutlich, dass Ian, was Grendels Schurkenqualitaten anging, kein bisschen übertrieben hatte.
Noch einmal musterte ich den kahlköpfigen Ghul mit kritischem Blick. Ja, er war ohne Zweifel ein ganz schlimmer Finger. Und hier stand ich, bewaffnet nur mit einem Paar Stilettos. Mein Blick wanderte an die Decke zu Noah, der offensichtlich schon mit seinem Leben abgeschlossen hatte. Ich konnte die einfache Lösung wählen. Mich als Bones' Geliebte outen und die ganze Angelegenheit ohne auch nur einen abgebrochenen Fingernagel hinter mich bringen, nur war das nicht meine Art. Nein, ich würde diesem Hünen gegenübertreten und mir meine Freiheit erkämpfen, statt sie mir zu erschleichen. Aber wo waren all die schönen Kanonen, wenn man sie brauchte ?
»Nimm sie nicht allzu hart ran, Grendel; ich habe noch etwas mit ihr vor«, grinste Ian.
Der Ghul ließ ein unheilvolles Lachen hören. »Sie wird es überleben. Alles andere ist heilbar.«
Wie beruhigend. Ich sah Bones mit einem ganz leichten Kopfschütteln an, um ihn wissen zu lassen, dass er nicht eingreifen sollte. Dann ließ ich als stumme Warnung die Knöchel knacken, während Grendel auf mich zukam. Der Ghul musterte mich mit kühlem, erfahrenen Blick. Bestimmt überlegte er sich, welchen Knochen er mir zuerst brechen sollte.
»Zum Beweis meiner Furchtlosigkeit«, sagte er mit seiner tiefen Stimme, »darfst du zuerst zuschlagen. Ich werde mich nicht verteidigen.«
»Von mir kannst du so viel Zuvorkommen nicht erwarten«, entgegnete ich prompt. Ein kühles Lächeln trat auf sein Gesicht. »Das will ich doch hoffen. Sonst wäre der Kampf zu schnell vorbei und der Spaß verdorben.«
Klasse. Grendel der Riese war ein Sadist. Das Leben war eben kein Ponyhof. Ich atmete tief durch - sprang in die Luft und trat mit aller Kraft zu. Meine Absätze bohrten sich in seine Kehle, und ich drückte die Füße auseinander, in der Hoffnung, ihm so die Halswirbelsäule durchtrennen zu
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