Kuss der Nacht - Band 02
»Ian, bevor das ganze Affentheater hier anfängt, möchte ich noch etwas mit dir klären. Hättest du nicht auf meinem Erscheinen bestanden, wäre ich gar nicht hergekommen. Und da liegt auch schon der Hase im Pfeffer, Meister. Ich will mein eigener Herr sein, und allmählich ist es auch an der Zeit. Entlass mich aus deiner Sippe.«
Ian sah aus, als hätte er einen Schlag ins Gesicht bekommen, dann aber fing er sich wieder.
»Darüber reden wir später ganz in Ruhe, Crispin«, antwortete er, bemüht auszuweichen und gleichzeitig keine Schwäche zu zeigen.
Mit einer Handbewegung wies Bones auf den Saal voller Gäste. »Der Zeitpunkt ist günstig. Alle können bezeugen, dass der Tradition Genüge getan wurde. Gewährst du mir meinen Wunsch, fordere ich nur, was mir von Rechts wegen zusteht -die Vampire, die ich erschaffen habe, ihren Besitz und alle Sterblichen, die mir gehören. Ich habe mich lange genug geduldet, Ian, und ich werde nicht noch länger warten.«
Beim letzten Satz hatte ein kompromissloser Unterton mitgeschwungen, der niemandem entgangen war.
Sofort legte auch Ian alle Höflichkeit ab und gab sich kurz angebunden. »Und wenn ich mich weigere? Willst du dir deine Freiheit dann erkämpfen?«
»Ja«, antwortete Bones schlicht. »Aber wozu soll das gut sein? Wir kennen uns, seit wir Menschen waren, und sollten den anderen nicht aus purer Sturheit vernichten. Lass uns im Guten auseinandergehen, nicht im Streit. Ich würde es mir wünschen.«
Ich konnte nicht nachvollziehen, wie es war, eine so lange gemeinsame Vergangenheit zu haben wie Bones und Ian, eine Verbindung, die buchstäblich über den Tod hinausging. Mich verband nicht viel mit Ian, aber wenn Bones so viel an einer friedlichen Lösung lag, musste Ian wohl irgendwelche verborgenen QualiTaten haben. Mein Geliebter fühlte sich eindeutig nicht nur an Ian gebunden, weil der ihn zum Vampir gemacht hatte. Vielleicht war Ian ein wenig wie Don. Skrupellos und berechnend, wenn es darum ging, seinen Willen durchzusetzen, im Grunde aber kein schlechter Kerl. Andernfalls hätte ihn Bones nicht erst um Erlaubnis gefragt, sondern seine Freiheit gleich im Duell erstritten. Im Ernstfall konnte er Ian schlagen, und das wusste er. Fragte sich nur, ob Ian das auch wusste.
Ian dachte eine Weile nach. Im Saal herrschte erwartungsvolles Schweigen. Ich erstarrte, als Ian ein Messer hervorzog und durch die Gästeschar hindurch auf Bones zuging.
Ian sah zuerst das Messer an und dann Bones. Dann hielt er das Messer so, dass die Schneide von Bones wegzeigte.
»Von nun an sei Herr deiner eigenen Sippe, niemandem unterstellt als dir selbst und den Gesetzen, die alle Kinder Kains zu beachten haben. Ich gebe dich frei.«
Mit diesen Worten übergab er das Messer an Bones, der es respektvoll entgegennahm.
»Ihr alle seid Zeugen«, rief Bones und erntete zustimmendes Gemurmel. Wow, das war kurz, aber ergreifend gewesen. Ich hatte etwas Blutigeres oder Zeremonielleres erwartet.
Ian stieß ein resigniertes Seufzen aus. »Wir haben lange Seite an Seite gestanden, Crispin. Wird ein seltsames Gefühl sein, dich nicht mehr unter meinen Leuten zu wissen. Was hast du nun vor?«
»Was jedes junge Sippenoberhaupt vorhat, denke ich«, antwortete Bones leichthin, obwohl seine Miene ernster wurde. »Die Meinen um jeden Preis zu beschützen.«
Ich wusste, was er damit meinte, auch wenn Ian die tiefere Bedeutung seiner Worte entgangen war.
»Du musst nicht länger bleiben; gehst du oder wartest du noch ab, ob deine ehemalige Schülerin ihren Kampf gewinnt?«
Bones lächelte und warf mir einen Blick zu. »Ein solches Ereignis würde ich mir doch nie entgehen lassen, mein Freund. Ich setze auf ihren Sieg, wenn sie nicht alles vergessen hat, was ich ihr beigebracht habe.«
»Das bezweifele ich«, bemerkte Ian trocken.
»Wie lauten die Regeln?«, erkundigte ich mich. »Ist der Sieger der, der den Gegner zuerst außer Gefecht setzt?«
Ian ging zu seiner Couch zurück und machte es sich bequem. »Nein, Kleines, das ist kein Ringkampf. Du gewinnst die Geisel nur zurück, wenn du deinen Gegner umbringst. Dem ist es allerdings nicht gestattet, dich zu töten. Er kann dich mir jedoch in jedem beliebigen Zustand ausliefern, und dann gehörst du mir.«
Ich nahm die Information in mich auf. Und dann ließ ich meine Augen aufleuchten. Ihr Licht zerteilte wie smaragdfarbene Laserstrahlen den Raum, woraufhin sich vielstimmiges Gemurmel erhob. Ian hatte den Zuschauern zwar von meiner
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