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Kuss der Sünde (German Edition)

Kuss der Sünde (German Edition)

Titel: Kuss der Sünde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lara Wegner
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Toten. Den Rest der Nacht verbrachten sie im Gebet. Viviane hörte zu, ohne in das leise Murmeln einzustimmen. Gott war eine Illusion, eine Täuschung, eine Schimäre. Es gab keinen Gott und keine Erlösung. Es gab keine Gnade und keine Vergebung und keinen Weg ins Himmelreich. Damit existierte auch keine Schuld und keine Sünde, keine B u ße und Sühne. Einzig Sinnlosigkeit und Leere und ein anhaltender Schmerz.
     
     

6
     
    E
    ine volle Woche blieb Olivier von der Comtesse de La Motte und ihren Nachstellungen verschont. Die auf der Rückfahrt von Versailles getroffene Verabredung zu einer Menage à Trois hatte er platzen lassen, ohne sich zu erklären oder gar zu entschuldigen. Umso mehr überraschte es ihn, dass sie ihn trotz dieses Affronts in Begleitung von Nicolette in der Dachkammer aufsuchte. Mit der Schreibfeder in der Hand sah er den beiden Frauen entgegen. Die falsche Comtesse setzte ihren Hut ab und legte ihn auf den Tisch. Dichtes, haselnussbraunes Haar floss über ihren Rücken und ließ ihn ahnen, weshalb sie hier war.
    „Wo ist Lazare?“, fragte er und setzte die Feder in den goldenen Halter.
    „Was für ein uncharmanter Empfang, nachdem ich so lange nichts von dir hörte. Dein vierschrötiger Schatten ist mit einer Münze abgezogen, um Wein zu besorgen. Wir sind also unter uns.“
    Gleichzeitig schien sie seinen Anblick einzusaugen. Weder entgingen ihr seine hochgerollten Hemdsärmel noch sein am Hals klaffendes Hemd, dessen einer Zipfel in der Hose steckte, während der andere darüber hing.
    „Du scheinst mich erwartet zu haben“, merkte sie an und hob eine Braue.
    „Oh nein, sonst hätte ich mich in Schale geworfen“, gab er bissig zurück. „Was wollen Sie hier?“
    „Dich auf dem Laufenden halten. Zum einen. Rohan hat unseren Köder geschluckt. Ich habe ihn genau da, wo ich ihn haben wollte.“
    „Daran habe ich keinen Moment gezweifelt, Madame. Es wundert mich lediglich, dass Sie sich dieser armseligen Umgebung aussetzen, um mir das mitzuteilen. Wahrscheinlich sollte ich mich geehrt fühlen.“
    Kichernd schlug Nicolette die Hand vor den Mund und nahm auf dem durchgelegenen Kanapee Platz.
    „Immerhin ist dir dein Sinn für Humor nicht abhandengekommen.“ Die de La Motte legte die Hand auf seine Schulter. „Ich befürchtete schon, du würdest Trübsal blasen. Das wäre zu bedauerlich, jetzt, da sich unser Plan der Vollendung nähert.“
    Er zog die Brauen zusammen. Sein Humor war, entgegen der Ansicht dieser Betrügerin, in sich zusammengefallen, seit er aus dem Fenster von Juliette Pompinelle geklettert war. Die Abgründe der menschlichen Natur kannte er seit Jahren. Ein jeder neigte zu Betrug und Lügen, solange er sich vor Entdeckung sicher wähnte. Nahezu täglich wurde es ihm bestätigt, und er selbst war das beste Beispiel seiner These. Gleichwohl hatte ihn ihre Abgebrühtheit schockiert. Sie hatte sich mit ihm im Bett gewälzt, während wenige Türen weiter ihr Bruder im Sterben lag. Noch schwerer als die Verderbtheit einer Siebzehnjährigen wog die dumpfe Stimme von Viviane Pompinelle. Sie verfolgte ihn bis in den Schlaf.
    Schon dreimal hatte er von jenem Nachmittag geträumt, an dem er ahnungslos nach Hause kam. Im Traum war sein Elternhaus ein Ort ohne Möbel. Schwarze Tücher verdeckten Bilder und Spiegel. Aus jedem Zimmer drang die gähnende Leere eines verlassenen Hauses. Auf der Schwelle des Fechtsaales stand jedoch – anders als vor zehn Jahren – nicht Lazare, der beste Freund seines Vater, sondern Viviane Pompinelle. Angesichts der Tränen, die Lazare damals über die Wangen liefen, hatte er sofort gewusst, was geschehen sein musste. In seinem Traum kehrte der Schmerz des Verlustes, das Entsetzen über einen unsinnigen Tod und die Panik eines Sechzehnjährigen zu ihm zurück.
    „Dein Vater hat sich erschossen“, wiederholte Viviane in seinem Traum die Worte von Lazare.
    Sie sagte es in derselben dumpfen Tonlage, in der sie ihrer Schwester den Tod von Justin mitgeteilt hatte. Jedes Mal schreckte er in Schweiß gebadet aus diesem Albtraum auf. Es stand zu befürchten, dass er wiederkehrte. Entsprechend übel war seine Laune.
    „Nach Scherzen steht mir nicht der Sinn“, sagte er und schob die Hand der Comtesse von seiner Schulter. „Sofern Sie nicht hier sind, um mir etwas Nützliches zu sagen, würde ich es vorziehen, wenn Sie Ihren Besuch abkürzen. Ich bin beschäftigt.“
    Die de La Motte rümpfte die Nase, setzte die Hände in die Hüften und

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