Kuss der Sünde (German Edition)
Verstand geklärt, und das war eine große Erleichterung, denn kurzzeitig hatte sie befürchtet, ihn vollends zu verlieren und dem Ganzen nicht standhalten zu können. Einen besonders schlimmen Moment hatte sie durchlitten, als dieses Scheusal durch das Haus brüllte, er solle wohl wegen einer verdorrten Jungfer vor Hunger umkommen.
Nun saß dieser Unhold ihr gegenüber und schenkte ihr ein Lächeln von trügerischem Charme. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen und flegelte sich in einen Stuhl. Sein Gebaren sollte sie wohl in Sicherheit wiegen, dabei konnte davon keine Rede sein. Sie war auf ein Verhör gefasst, doch das konnte er vergessen. Weder durch gute Worte noch Drohungen würde er irgendeine Information von ihr erhalten.
„Viviane Pompinelle“, sagte er ruhig.
Er hielt ein kleines Päckchen Briefe in die Höhe. Sein Lächeln wurde breiter und zeigte weiße Zähne. Vor Schreck grub sie die Fingernägel in die Handfläche. Woher wusste er ihren Namen? Jetzt hatte er nicht nur die Briefe, mit denen er wedelte, sondern ein weiteres Druckmittel in der Hand. Ihre Identität würde in den Augen der Öffentlichkeit nur ein weiterer Beweis sein, dass die Königin an der Sache mit dem Halsband beteiligt war und namhafte Juweliere um ihr Honorar hatte prellen wollen. Der Kanincheneintopf ballte sich in ihrem Magen zu einem schweren Klumpen.
„Für mich ist es von größtem Interesse zu erfahren, weshalb Sie diese Korrespondenz an sich nehmen wollten. Verraten Sie mir, woher wissen Sie von diesen Briefen?“
Feen wandeln Lügen in Wahrheit. Nun, ob das zutraf, würde sich herausstellen. „Sie gehören mir“, behauptete sie.
Verschmitzte Lachfältchen gruben sich in seine Augenwinkel. Er legte die Briefe auf sein angewinkeltes Knie. „Das bezweifle ich. Versuchen Sie es mit einer glaubwürdigeren Antwort.“
„Wenn ich Ihnen eines nicht schuldig bin, Monsieur, dann ist es Glaubwürdigkeit. Von mir aus können Sie zweifeln so viel Sie wollen. Sie haben jedenfalls kein Recht auf diese Briefe.“
„Irrtum. Niemand könnte ein größeres Recht darauf haben.“
Es war zwar nichts zu hören, doch Viviane wusste, dass er in sich hineinlachte. In ihrem ganzen Leben war ihr kein Mann begegnet, der durch ein solches Maß an Impertinenz herausstach und dabei noch unglaublich gut aussah. Irgendwie war es ihm gelungen, sie ins Hintertreffen zu bringen, und das lag nicht allein daran, dass ihre Unterhaltung in einem Schlafzimmer stattfand und sie ausgesprochen unvorteilhaft gekleidet war. Kerzengerade setzte sie sich auf, um den ausgewaschenen Morgenmantel vergessen zu machen, den sie bis zum Hals geschlossen hatte. Sie konnte ebenso ruhig bleiben wie er. Sie war eine Pompinelle und eine Kerouac. Von hoher Geburt und uralter bretonischer Abstammung. Jedenfalls mütterlicherseits.
„Wenn Sie Ihr Wissen gegen mich verwenden wollen, muss ich das hinnehmen. Ich sage dazu nur eines, Monsieur, es wird Ihnen keine Vorteile bringen. Ich weiß nämlich alles.“
„Sie machen mich neugierig.“
„Sie wollten mit diesen Briefen eine infame Betrügerin aus der Haft pressen. Ich gehe davon aus, dass Sie mit ihr unter einer Decke stecken. Gemeinsam haben Sie einen schmutzigen Plan ausgeheckt, um auf krummen Wegen an ein Kollier zu gelangen und es gewagt, den Namen unserer Königin für diesen verwerflichen Diebstahl zu missbrauchen. Pfui!“
Er schmunzelte. „Nun ja, mehr oder minder sind Sie mir auf die Schliche gekommen, Mademoiselle. Wahrhaftig, ich stehe kurz davor, mich von Ihnen beeindrucken zu lassen.“
„Machen Sie sich ruhig über mich lustig. Das ändert nichts an den Tatsachen.“
Er zog eine Grimasse. „Sie erschöpfen Ihre Redseligkeit in persönlichen Beleidigungen. Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, wie ermüdend das ist? Vor allem für Ihre Zuhörer.“
Fest presste sie die Lippen aufeinander und enthielt sich jeden Kommentars. Die Briefe schaukelten auf seinem Knie. Sollte sie einen Vorstoß darauf wagen? Als ahnte er ihre Gedanken, nahm er den kleinen Stapel auf und blätterte ihn mit dem Daumen durch. „Es wäre uns beiden damit gedient, wenn Sie Ihre Auskunftsfreude darauf richten, mir zu sagen, weshalb Sie die Briefe unbedingt haben wollten.“
„Weshalb? Ich wollte sie natürlich vernichten.“
„Selbstverständlich.“ Sinnend neigte er den Kopf zur Seite und musterte sie aus seinen grauen Eisaugen. „Es bleibt die Frage, warum ausgerechnet Sie? Sie sind die Tochter eines
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