Kuss des Apollo
wieder.«
»Wenn du gerade mit einer Frau liiert warst, die ein Auto hatte.«
»Sei nicht so biestig, Geri. In Paris hatte ich mal einen Wagen, auch einen Renault. Darum bin ich der Marke treu geblieben. Hast du einen Führerschein?«
»Nein. Wann denn und wozu? Papi hat natürlich den Führerschein, aber ein Auto hatte er nie, eingekesselt in Berlin, brauchte man keins.«
»Na, jetzt kann er ja mit seiner Freundin ein paar schöne Reisen machen.«
»Die sind mit ihren Außenaufnahmen sowieso ständig unterwegs. Das nächste Mal drehen sie in Prag.«
»Wirklich? Was ist das für eine Geschichte?«
»Weiß ich nicht«, sagte Geraldine ablehnend.
Sebastian warf ihr einen Blick von der Seite zu. Er kannte ihre Gefühle sehr genau, er wusste, wie sehr sie an ihrem Vater hing.
»Auf jeden Fall finde ich es gut, dass dein Vater jetzt so beschäftigt ist. Und die Serie ist wirklich großartig.«
Geraldine schwieg, wies ihm nur den Weg. Sie fuhren über Munkmarsch und Braderup nach Wenningstedt.
»Hier lassen wir den Wagen stehen. Und laufen über die Düne runter zum Strand in Richtung Kampen.«
So leer, wie sie gehofft hatten, war es hier auch nicht. Als sie die Strandkörbe endlich hinter sich gelassen hatten, lagen immer noch eine Menge Leute am Strand oder liefen am Meer entlang.
»Alexander sagt, am schönsten ist es hier im April und Oktober.«
»Bisschen kalt zum Schwimmen vielleicht.«
Sie gingen bald ins Wasser, das Meer war glatt und klar, und man konnte herrlich schwimmen. Aber es war Ostwind, und darum gab es Quallen.
»Kenne ich von der Ostsee«, sagte Sebastian. »Ekelhaftes Zeug.«
»Wann warst du denn an der Ostsee?«
»Ich habe doch gerade erzählt, dass wir in Lübeck gewohnt haben.«
»Stimmt. Wo du der Chauffeur vom Chef deiner Mutter wurdest.«
»Ich vertrug mich mit meiner Mutter überhaupt nicht mehr. Eben wegen dieses Mannes. Sie war nach dem Tod meiner Großmutter nach Lübeck gezogen. Ich ging noch mal in die Schule, denn ich sollte das Abitur machen. Einmal war ich schon sitzen geblieben. Und dann dieser grässliche Kerl, mit dem sie sich eingelassen hatte. Dann bin ich einfach auf und davon.«
»Wohin?«
»Zurück nach Berlin. Ich wollte Schauspieler werden.«
»Ach nee! Hast du mir nie erzählt.«
»War auch nur eine kurze Phase. Ich wollte lieber Schriftsteller werden. Oder Regisseur.«
»Und in Berlin lebte dein Vater?«
»Ich habe keinen Vater. Ich bin ein uneheliches Kind. Habe ich dir mal erzählt.«
»Hast du nicht.«
»Du hast dich mit deinem Vater so gut verstanden. Hast so lieb von ihm geredet. Vielleicht habe ich deswegen nicht davon gesprochen. Mein Vater ist Ungar.«
»Das finde ich ja interessant. Erzähl mal.«
Geraldine legte sich zurück in den Sand und schloss die Augen. Die Sonne über dem Meer blendete.
»Meine Mutter und meine Großmutter waren Flüchtlinge aus Schlesien. Mein Großvater war im Krieg gefallen. Meine Mutter war neunzehn, als sie fliehen mussten. Ein schönes Haus in der Nähe von Breslau, ein großer Garten, ich kenne es nur aus ihren Beschreibungen. Als die Russen kamen, landeten sie zuerst in Dresden, und nur weil sie in einem Lager außerhalb der Stadt untergebracht waren, überlebten sie die furchtbaren Angriffe auf Dresden im Februar 1945. Meine Mutter sagte einmal zu mir: Eigentlich müsste ich tot sein, und ich wünschte, ich wäre es.«
»Und wo ist deine Mutter heute?«
»Ihr Wunsch hat sich erfüllt, sie ist tot. Vor drei Jahren ist sie gestorben. Sie hat nicht einmal mehr den Amphitryon gesehen. Ich habe mir immer gewünscht, ihr einen Erfolg zu präsentieren. Sie hatte nie eine besonders gute Meinung von meinem Talent. Sie wollte, dass ich studiere. Germanistik und Geschichte, das war ihr Lebenstraum gewesen. Ich habe nicht einmal das Abitur gemacht. Sie hatte es. Doch ehe sie anfangen konnte zu studieren, kamen die Russen. Ach, lassen wir das. Gehen wir noch mal ins Wasser?«
»Nicht bei den Quallen. Wir laufen jetzt weiter bis Kampen, und dort essen wir im Dorfkrug.«
»Und wie kommen wir wieder zu meinem Wagen?«
»Wir fahren entweder von Kampen aus mit dem Bus oder wir nehmen ein Taxi.«
Im Dorfkrug gefiel es ihm gut.
»Ich verstehe so langsam, warum die Leute so gern auf diese Insel fahren. Das ist auch ein hübsches Lokal, man isst gut, und voll ist es auch nicht.«
»Es ist fast drei Uhr. Die Mittagszeit ist vorbei. Und die meisten Leute sind am Strand. Abends findest du hier keinen Platz.«
»Und was
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