Kuss des Apollo
weitergehen. Da hinten ist ein kleiner See. Und da schwimmen Enten.«
»Schade, dass wir von dem Brot nichts mitgenommen haben. Und wie ging es weiter?«
»Ja, mein Vater. Seltsam für mich, das Wort Vater auszusprechen.
»Und dann?«
»Na ja, es war wohl eine richtige Liebesgeschichte. Aber er wollte fort, und sie sollte mit ihm gehen. Doch sie wollte ihre Mutter nicht im Stich lassen. Das zog sich eine Weile hin, dann musste er in ein Lager und wurde ausgeflogen. Sie hat nie wieder von ihm gehört. Und bekam ein Kind.«
»Einen Sohn. Sebastian.«
Geraldine legte sanft einen Arm um seine Schulter und küsste ihn auf die Wange.
»Warum hast du mir das nie erzählt?«
»Geri! So wie wir damals lebten, wollte ich nicht davon sprechen.«
»Und warum hast du dich mit deiner Mutter nicht vertragen?«
»Sie war sehr verschlossen, und von dem, was sie erlebt hatte, sprach sie nicht. Viel später gab es dann einen Mann, eben den aus Lübeck, aber davon reden wir jetzt nicht mehr. Schluss für heute!«
Er nahm sie vorsichtig in die Arme.
»Ich hatte keine glückliche Kindheit. Und eine schwierige Jugend. Und du warst der erste Mensch, den ich liebte. Der erste Mensch, der zu mir gehörte.«
»Und dann hast du mich verlassen.«
»Ich habe dich nie verlassen. Das musst du doch einsehen. Ich war immer um dich besorgt. Was konnte ich denn für dich tun, ich war ja lange Zeit erfolglos. Aber der klügste Gedanke meines Lebens war, dich mit nach Griechenland zu nehmen. Ohne dich wäre der Amphitryon ein Flop geworden. Das weiß ich.«
Geraldine bog den Kopf zurück. Sebastian küsste sie, lange und zärtlich, und diesmal erwiderte sie den Kuss.
Als die beiden nach Hause kamen, spürte Frau Holm sofort, dass Geraldines Stimmung gewechselt hatte. Sie war aufgeschlossen, geradezu heiter, sie lachte, erzählte ausführlich, was sie erlebt hatten, das Meer, die Quallen, der Dorfkrug und schließlich der Spaziergang in Kampen. Nur von dem ungarischen Vater sprach sie nicht, das beschäftigte sie noch zu sehr.
Und sie dachte: Ich war selbst noch zu jung und zu naiv, war nur mit ihm und meiner Liebe beschäftigt, habe von Papi erzählt, was ich alles bei ihm gelernt hatte, prahlte ständig mit den Rollen, die ich konnte, aber kam nie auf die Idee, ihn nach seiner Familie, nach seiner Ausbildung zu fragen. Und es ist wahr, er hat nie davon gesprochen. Da hätte ich mir doch etwas denken müssen.
»Zumindest hätte ich mal fragen müssen«, sagte sie laut, ganz überrascht von dieser Selbsterkenntnis, die an diesem Tag gewachsen war.
Frau Holm und Sebastian sahen sie fragend an.
Sie saßen noch am Tisch, sie hatten gut gegessen, Matjes mit grünen Bohnen, Speckstippe und Bratkartoffeln.
»Es hat wunderbar geschmeckt«, sagte Geraldine. »Heute habe ich mindestens zwei Pfund zugenommen. Und wir werden jetzt jeden Tag gut essen. Ich werde mir nicht mehr sagen lassen, dass man meine Rippen durch das Kleid zählen kann.«
»Wer sagt das?«, fragte Frau Holm.
»Er«, und sie wies mit dem kleinen Finger auf Sebastian. »Dabei habe ich doch in letzter Zeit immer reichlich gegessen.«
»Aber vorher nicht; du hast abgelehnt, als ich in Berlin mit dir essen gehen wollte. Du hast allein zu Hause rumgesessen und warst traurig wegen deines Vaters.«
»Dazu hatte ich allen Grund.«
»Und wonach hätten Sie fragen sollen, Geraldine?«
Sie sah Sebastian an.
»Nach seinem Leben. Nach seiner Jugend. Es kann vieles verwirrend sein, wenn man jung ist. Ich hatte wenigstens meinen Vater, der mich liebte. Keine Mutter, na schön. Ich habe Ihnen das neulich erzählt, Frau Holm.«
»Ja, als Sie aus Hamburg zurückkamen.«
»Ich spreche eigentlich nie von meiner Mutter. Sie verschwand aus meinem Leben, als ich noch ein Kind war. Und darum hänge ich so an meinem Vater. Aber er …«, und wieder sah sie Sebastian an, der schweigend diesem Dialog lauschte, »hatte überhaupt keinen Vater. Und mit seiner Mutter hat er sich auch nicht besonders gut verstanden. Und danach hätte ich fragen müssen. Damals.« Sie schwieg eine kleine Weile, fuhr dann fort: »Damals, als wir noch zusammenlebten. Als wir uns liebten. Es ist nämlich so, Frau Holm, wir kennen uns nicht erst seit dem Amphitryon-Film. Er war meine große Liebe, als ich jung war. Und ein wenig geliebt hat er mich damals auch.«
Sebastian lächelte.
»Wir waren immerhin zwei Jahre zusammen. Und sie war auch meine erste wirkliche Liebe. Und daran hat sich nichts geändert.«
»Trotz
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