Kuss des Apollo
machen wir heute Abend?«
»Wir essen bei Frau Holm. Habe ich schon mit ihr ausgemacht. Wenn wir zurück sind, kann ich noch einkaufen. Falls sie nicht schon eingekauft hat. Sie ist sehr angetan von dir. Und sie möchte gern noch über Amphitryon reden.«
»Habt ihr nicht davon gesprochen?«
»Nee, haben wir nicht.«
»Es gefällt mir gut bei ihr. Und ich hoffe, Nelson wird sich auch an mich gewöhnen. Meinst du, ich kann noch ein paar Tage bleiben?«
»Sicher. Mir gefällt es auch, dass du hier bist.«
»Sag das noch einmal.«
»Ich freue mich, dass du hier bist, dass wir hier sitzen und gut gegessen haben. Und von deinen Plänen musst du mir auch noch erzählen.«
»Und du denkst, Frau Holm weiß nichts …über unsere gemeinsame Vergangenheit.«
»Woher sollte sie das wissen? Es sei denn, Frau Frobenius ruft heute an, und Frau Holm erzählt von deiner Ankunft. Dann wird sie vielleicht etwas erfahren.«
»Hm. Wird Alexander nicht wiederkommen?«
»Nein, solange sein Vater in Amerika ist, muss er sich um die Produktion kümmern. Bisschen was arbeiten kann er schließlich auch mal.«
»Liebst du ihn?«
»Was für eine blöde Frage. Warum soll ich ihn lieben?«
»Hast du mit ihm …« Sebastian stockte.
»Ob ich mit ihm geschlafen habe? Geht dich das was an? Erst gestern hast du mir großartig erklärt, dass jeder Mensch ein paar Erfahrungen sammeln muss, ehe er alt und grau wird. Und jetzt erzähl mir von deinem Vater. Von dem hast du früher nie gesprochen.«
»Das konnte ich gar nicht, denn ich habe ihn ja nie kennen gelernt. Er war verschwunden, ehe ich geboren wurde.«
»Er war Ungar, hast du gesagt.«
»1956 war bekanntlich der Aufstand in Ungarn. Zu früh, wie man heute weiß. Zu früh wie 53 in Berlin. Und sogar 68 in der Tschechoslowakei war es auch noch zu früh. Erst hier in Deutschland haben wir es geschafft, zwanzig Jahre später. Ich wusste anfangs so gut wie nichts über meinen Vater. Nur die Großmama hat mir einiges gesagt. Meine Mutter schwieg. Ich war schon sechzehn, als sie sich dazu herabließ, mir von ihm zu erzählen.«
»Er hat sie verlassen.«
»Er hat Berlin verlassen, aber er wusste nicht, dass sie schwanger war. Er hat sich in Budapest an den Straßenkämpfen beteiligt, musste fliehen und kam über irgendwelche Umwege nach Berlin. Genau weiß ich das auch nicht. Er war allein, er hatte kein Geld, er besaß nur das, was er auf dem Leibe trug. Aber er soll ein sehr gut aussehender junger Mann gewesen sein. Sagte meine Großmama.«
»Das kann ich mir gut vorstellen.«
»Danke, Geri.«
»Wir werden zahlen, wir sitzen ganz allein hier. Und dann gehen wir noch um ein paar Ecken, die Gegend ist sehr hübsch. Und ich weiß, wo die Taxen stehen. Nein, lass mal, heute bezahle ich. Wir werden jetzt immer Essen gehen, ich kenne noch ein paar hübsche Lokale hier. Ich mag nur nicht allein hingehen.«
Sie gingen ein Stück in Richtung Watt, überquerten eine große Wiese und kamen in einen Park.
»Heute heißt es Dorfpark. Früher hieß es Kurpark, das hat Alexander mir erzählt.«
»Schön ist es hier. Still und friedlich.«
»Hier kommt kein Mensch her. Die meisten Sylturlauber kennen dieses Stück Einsamkeit gar nicht.«
»Und was ist das? Ein Ehrenmal.«
»Für die Gefallenen der beiden Kriege. Und nun zu deinem Vater.«
»Er landete in dem Hotel, in dem meine Mutter arbeitete. Es war nur ein kleines Hotel, in einer Seitenstraße vom Kurfürstendamm.«
»Sie arbeitete in einem Hotel? Als was denn?«
»An der Rezeption. Sie musste für ihre Mutter sorgen, die war herzkrank. Es ist ihnen in den ersten Jahren sehr schlecht gegangen. Dieses kleine Hotel war endlich eine Umgebung, in der meine Mutter sich wohl fühlte. Sie sprach Englisch, sie sprach Französisch, das Hotelmilieu war für sie geeignet.«
»Sie sprach Englisch und Französisch. Woher konnte sie das?«
»Sie sprach sogar Latein. Ihr Vater, also mein Großvater, war Direktor eines Gymnasiums in Breslau. 44 haben sie ihn dann noch eingezogen und den Russen zum Fraß vorgeworfen.«
»Was du da sagst, klingt schrecklich.«
»Es stammt nicht von mir. Meine Großmama formulierte es so. Und sie fügte hinzu: Er hätte sowieso nicht mit uns fliehen können. Breslau wurde bis zum letzten Stein verteidigt, das war Hitlers Krieg. Und es geschah allen recht, denn sie haben Hitler nicht umgebracht.«
Sie standen noch vor dem Ehrenmal.
Geraldine sagte: »Wir sind hier am richtigen Ort.«
»Lass uns trotzdem
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