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Kuss des Apollo

Titel: Kuss des Apollo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Danella
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wurde nicht geschossen wie später an der Mauer. Noch gab es Berlin, zwar nun deutlich geteilt, aber eben doch verbunden. Die S-Bahn fuhr von Ost nach West, auch von West nach Ost, manche benutzten sie zu einem Besuch bei Verwandten und Freunden und kehrten zurück zur eigenen Familie, die man nicht im Stich lassen wollte.
    Aber viele kamen nicht zurück. Immer mehr Menschen flohen, und immer größer wurde der Ärger der Genossen, und immer näher rückte der Zeitpunkt, an dem sie handeln würden. Das war zu ahnen.
    1953, als in Berlin die russischen Panzer auffuhren, war Thomas nicht mehr in der Stadt. Er hatte ein Engagement, zwar im Osten, aber das beste, was man sich wünschen konnte.
    Er war in Meiningen, im Schlossparktheater des Großherzogs, und hier lebte man ziemlich unbehelligt vom kommunistischen Terror.
    Das Schlossparktheater war Teil einer großen Vergangenheit. Und ein erstklassiges Theater.
    Zu verdanken hatte Thomas das Engagement wieder einmal seinem Freund und Gönner, dem alten Schauspieler, der ihn unterrichtet hatte.
    »Ich weiß, du willst in den Westen«, hatte der gesagt, »aber erst kommt es darauf an, dass du dir ein Repertoire erarbeitest, dass du alles spielen kannst, was du willst. Als ich so jung war wie du, war ich in Meiningen engagiert. Eines der besten Theater, die es je gegeben hat, auch wenn es in einer kleinen Stadt ist. Dort gibt es noch Tradition. Ich habe dich empfohlen. Es wird klappen.«
    Es war die schönste Zeit im Leben von Geraldines Vater.
    Doch Thomas Bantzer hatte sich mit dem Kommunismus nicht arrangieren wollen, der Traum vom Westen blieb, so wohl er sich auch in Meiningen fühlte und so wunderbar die Rollen, die er spielte, auch waren. Das Gefühl, dass sich die Schlinge immer enger um das Volk legte, teilte er mit vielen anderen, immer mehr flüchteten unter den gefährlichsten Umständen.
    Auch in Meiningen wusste man das.
    Seine Mutter hatte ihn öfter besucht, ihn auf der Bühne bewundert, sie hatten ständig Kontakt. Über das Büro der Intendanz konnte er sie manchmal auch telefonisch sprechen. Sie rief von ihrem Arzt aus an, mit dem sie gut befreundet war.
    Ein privates Telefon hatte keiner von beiden, das war im Arbeiter- und Bauernstaat nicht vorgesehen.
    An einem Nachmittag im August war er in seiner Garderobe. Sie hatten zwar Sommerpause, doch er wollte ein Rollenbuch holen, um zu lernen. Da kam die Sekretärin des Intendanten und sagte nervös: »Los, komm. Deine Mutter ist am Telefon. Sie hat heute schon dreimal angerufen. Sie ist ganz aufgeregt. Sie muss dich unbedingt sprechen.«
    »Um Gottes willen! Sie ist doch nicht krank.«
    Wenn sie schon zum vierten Mal anrief, konnte es nur bedeuten, dass sie sich ständig bei ihrem Arzt aufhielt.
    Die Sekretärin überblickte vorsichtig den Gang, schloss dann die Tür zum Allerheiligsten.
    »Mami! Was ist los? Was fehlt dir?«
    »Mir fehlt nichts.« Sie sprach sehr leise. Die Angst, dass jemand mithören konnte, hatte man immer.
    »Es passiert etwas. Die Stadt ist voller Gerüchte.«
    »Was für Gerüchte?«
    »Sprich doch leise. Irgendwas ist los. Es wird an der Bernauer Straße gearbeitet. Und draußen auch.«
    »Wo draußen?«
    »Draußen eben. Im Grunewald. Genaues weiß ich auch nicht. Aber man lässt niemanden durch.«
    »Durch? Was heißt durch?«
    »Frag doch nicht so doof. Durch heißt raus. Man lässt keinen raus. Irgendwo soll man schon geschossen haben.«
    »Und was bedeutet das alles?«
    »Es bedeutet, dass wir endgültig eingesperrt werden. Das bedeutet es. Und das vermuten wir schon lange. Berlin ist nun mal das Tor in den Westen. Und jeden Tag sind es mehr geworden.«
    »Jetzt sprichst du aber laut. Gib mir doch mal den Doktor.«
    Nun kam ein Lachen über die Leitung. »Der ist schon weg.«
    »Der ist weg?«
    »Seit gestern. Hat alles stehen und liegen lassen.«
    »Wer ist denn bei dir?«
    »Schwester Gertrud. Sie weiß Bescheid. Und sie wird mich nicht verpfeifen. Du kennst sie doch.«
    »Und was soll ich tun?«
    »Das weiß ich nicht, mein Junge. Vielleicht ist alles nur übertrieben. So eine Art Hysterie. Gertrud winkt mir zu, dass ich Schluss machen soll. Sie fährt jetzt gleich zu ihrem Bruder nach Schöneberg, und dort bleibt sie, um abzuwarten. Hör dich doch mal um, ob du in Meiningen was erfahren kannst. Oder nein, halt lieber die Klappe. Es kann gefährlich werden. Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen, mein Junge. Alles Gute.« Nun klang es noch wie ein Schluchzer, dann hatte sie

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