Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kuss des Apollo

Titel: Kuss des Apollo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Danella
Vom Netzwerk:
eingehängt.
    Die Klappe halten konnte er nicht, denn die Sekretärin hatte das Gespräch mitgehört.
    Sie war eine ältere Dame, und dass sie keine Kommunistin war, ganz im Gegenteil sogar, das wusste Thomas.
    Also erzählte er, was seine Mutter gesagt hatte.
    Sie nickte. »Ich warte schon längst darauf, dass etwas passiert. Wir erfahren das ja nicht. Aber in meinem Radio kann ich die Westsender gut hören. Und dort verkünden sie täglich die Zahlen.«
    »Was für Zahlen?«
    »Die Zahl der Menschen, die in den Westen fliehen. Es werden täglich mehr. Ulbricht muss da etwas unternehmen, das ist klar.«
    Eine Weile blickten sie sich schweigend an.
    »Und was sollen wir tun?«, fragte Thomas.
    »Ich kann nichts tun. In meinem Alter wechselt man nicht mehr die Kulissen. Ich habe eine hübsche Wohnung hier, mein Sohn konnte studieren, weil er in die Partei eingetreten ist. Besser ist besser, nicht wahr? Meine Tochter lebt in Hamburg, das weißt du ja. Vielleicht darf ich sie mal besuchen.« Und nach einer kleinen, wohlüberlegten Pause fuhr sie fort: »Du könntest auch in die Partei eintreten, Thomas. Und du bist recht erfolgreich, dir tut keiner was.«
    Sie saß hinter dem Schreibtisch, er beugte sich hinab und küsste sie auf die Wange. »Ich danke dir. Weißt du, was mich am meisten aufregt? Mami hat jetzt keinen Arzt mehr.«
    Sie lachte. »Ein paar Ärzte werden schon übrig bleiben.«
    Von Meiningen aus war der Weg durch die Wälder hinüber nach Hessen nicht weit. Von einer Anhöhe aus konnten sie bei schönem Wetter die im Sonnenlicht glänzenden Fenster einer Kirche sehen. Manchmal standen sie da, er und diejenigen seiner Kollegen, mit denen man darüber sprechen konnte, und sie waren sich einig, dass es nur wie ein kleiner Ausflug sein würde. In den ersehnten Westen.
    Man spielte mit dem Gedanken, mehr oder weniger ernst gemeint, es ging ihnen ja nicht schlecht.
    »Man weiß ja nicht, wie es uns dort ergehen würde«, hatte einer der Kollegen einmal gesagt. »Ob wir da drüben ein Engagement bekämen. Die werden kaum auf uns warten. Uns geht es hier doch ganz gut.«
    »Gewiss. Wir haben zu essen und zu trinken, wir haben ein Dach über dem Kopf, und Arbeit haben wir auch. Weißt du, wovon ich träume? Freiheit. Das ist es. Freiheit wünsche ich mir«, hatte Thomas erwidert.
    In dieser Nacht im August 1961 wagte Thomas Bantzer die Flucht in die Freiheit, schlich sich durch den Thüringer Wald über die unsichtbare Grenze.
    Er tat es halb unbewusst, und es ging ganz leicht, keiner hielt ihn auf. Ihn und Tilla. Der Anruf seiner Mutter war der Auslöser gewesen. Aber auch ein jahrelanger Traum.
    Am nächsten Tag wurde in Berlin die Mauer gebaut.
    Der einzige Fehler bestand darin, dass er Tilla mitnahm, die junge Frau, besser gesagt, das junge Mädchen, das er kurz zuvor geheiratet hatte.
    Er war vierunddreißig, Tilla gerade achtzehn. Er hatte sich in sie verliebt, denn sie war ein süßes kleines Ding, Tänzerin am Theater, nicht sehr begabt, über die zweite Reihe im Corps war sie nie hinausgekommen.
    Sie verzieh ihm die Flucht nie. Und das sorgte in steigendem Maße für Streit in dieser Ehe.
    Sie bekam im Westen nie wieder ein Engagement. Und auch für ihn wurde es schwer. Zuerst gingen sie nach München, doch dort war es aussichtslos für ihn. Dann bekam er für zwei Jahre ein Engagement in Coburg, es gefiel ihm ganz gut.
    Quälend war, dass er lange keine Verbindung zu seiner Mutter hatte. Telefonieren ging nicht, und seine Briefe blieben unbeantwortet. Sie war nun hinter der Mauer.
    Er wollte zurück nach Berlin.
    »Und was machst du da? Du sitzt vor der Mauer, deine Mutter hinter der Mauer. Fliegen musst du auch. Wie bezahlst du das? Und eines Tages schnappen sich die Russen ganz Berlin, und dann kannst du dir vorstellen, was mit dir geschieht«, so Tilla.
    Später ging er mit einer Truppe auf Tournee, sie spielten ganz ordentliches Theater, einige bekannte Schauspieler vom Film waren dabei, aber für ihn gab es kaum Hauptrollen. Sie reiste mit der Truppe, half bei der Ausstattung, beim Aufbau. Nicht immer war es ein Theater, in dem sie gastierten, manchmal nur ein halbdunkler Saal, in dem erst eine Art Bühne geschaffen werden musste. Manchmal bekam Tilla einen kleinen Auftritt, brachte knicksend ein Tablett oder spielte eine ungezogene Tochter, die gleich im ersten Akt türenschlagend verschwand. Im zweiten Akt kam sie wieder, war inzwischen durch Heirat eine reiche Amerikanerin geworden, die in ihrer

Weitere Kostenlose Bücher