Kuss des Apollo
moderner Ton, und er wird doch der Zeit gerecht, in der diese Sage erdacht wurde.«
So lautete das Lob eines Kritikers.
Ein anderer dagegen schrieb: »Es ist ein Verrat an dieser alten, geheimnisvollen Geschichte, die immer noch unser Herz bewegt. Man weiß, dass diese Begegnung zwischen einem Gott und einer Menschenfrau nicht geschehen sein kann. Der moderne aufgeklärte Mensch weiß es nun mal, aber er liebt es wie ein Märchen. Und ein entzaubertes Märchen ist es nun leider geworden.«
Ein anderer Kritiker ärgerte sich vor allem über den Schluss.
»Die albern modische Bemerkung des Zeus, mit der er Abschied nimmt von Alkmene, dieses lächerliche ›Vergiss es‹, das man heute überall bei den alltäglichsten Begegnungen hören kann, ist mehr als unpassend. ›Vergiss es‹, sagt der Gott und haut einfach ab. Keine Rede von Herakles, kein Begreifen von Alkmene, keine Erschütterung, sie hat es schon vergessen und geht duschen. So wie es heutzutage alltäglich geworden ist.«
Es wurden alle bekannten und weniger bekannten Versionen des Amphitryon-Stoffes bemüht und zitiert, wobei sich die meisten darin einig waren, dass es wirklich kein Stoff für ein Lustspiel sei, schon gar nicht für eine Burleske auf Kosten der Götter. Auch eine Abenteuergeschichte vergangener Zeiten dürfe man in dem Stoff nicht sehen.
Das Wort Abenteuergeschichte ärgerte nun wieder einen anderen Kritiker, der sich heftig für die Dichtung des alten Griechenlands ins Zeug legte: »Was gibt uns das Recht, überheblich zu sein? Von den alten Griechen stammt schließlich unsere Kultur.«
Das ging sehr temperamentvoll hin und her, sogar für erstaunlich lange Zeit.
Genau genommen war dieser Streit die beste Werbung für den Film. Auch wer noch nie etwas von Amphitryon gehört hatte, interessierte sich für den Film und wollte ihn sehen. Dazu kam, dass viele Leute, an Auslandsreisen gewöhnt, schon in Griechenland gewesen waren, teils um Ferien zu machen, teils um etwas über die große Vergangenheit dieses Landes zu erfahren, und die wollten sich jetzt eine eigene Meinung bilden.
Sebastian Klose wurde über Nacht berühmt. Er musste Lob und Tadel einstecken, und er stand den Medien mit Perfektion und Souveränität Rede und Antwort. Da er ein gut aussehender Mann war, steigerte das seinen Erfolg. Er bekam Angebote von vielen Seiten, doch eine Entscheidung fällen wollte er noch nicht. Weil es schwierig sei, wie er meinte, sich von den alten Griechen wieder zurück in die Gegenwart zu bewegen.
Er machte das sehr geschickt, er wurde umworben, nicht nur von Film- und Fernsehproduktionen, sondern auch von Frauen, und mit der Zeit stieg ihm der Ruhm ein wenig zu Kopf.
»Was wäre aus dem Film geworden, wenn du nicht Regie geführt hättest«, sagte hingegen Karel Bronski, als er Geraldine Anfang März besuchte.
»Vergiss es«, sagte Geraldine, »um bei unserer umstrittenen Aussage zu bleiben.«
Karel nickte. »Du hast recht. Dieser Schluss hat den meisten Aufruhr verursacht. Neulich habe ich gelesen, es sei eine geradezu ›rotzige Bemerkung‹, um diesen Film zu beenden.«
Karel war in die Schumannstraße gekommen, er wollte Geraldines Vater kennen lernen. Eine neue große Fernsehrolle war Thomas soeben angeboten worden, er war inzwischen auch in einer Talkshow zu Gast gewesen. Für den Vater der berühmten Geraldine Bansa interessierte sich das Publikum.
Geraldine hatte es bisher abgelehnt, in einer Fernsehshow aufzutreten. Sie ging überhaupt nicht gern aus dem Haus, sie lebte sehr zurückgezogen, nachdem sie geduldig alle Interviews über sich hatte ergehen lassen.
Man wolle sie jetzt in einer modernen Rolle sehen, eine Frau von heute, und das möglichst mit einem dramatischen Hintergrund. Die Bavaria und Dr. Frobenius hielten schützend die Hand über sie: Selbstverständlich würde es einen neuen Film mit ihr geben, darin war man sich einig, doch es musste sehr gründlich überlegt werden, was für ein Stoff es sein sollte.
Karel Bronski kam gerade aus Amerika, er würde seine nächste Kameraarbeit in Hollywood machen, nicht zum ersten Mal, er hatte schon öfter dort gearbeitet. Er schlug Geraldine vor, ihn zu begleiten.
»Man ist sehr interessiert an dir. Ich bin gebeten worden, dich mitzubringen. Es heißt, du bist die schönste Frau, die in den letzten zwanzig Jahren auf einer europäischen Leinwand zu sehen war.«
Geraldine lachte und sah ihren Vater an.
»Ich bin überhaupt nicht schön. Das hast du mit deiner
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