Kuss des Apollo
nicht. Er hat Frau und Kinder. Was erwartest du von mir? Eine endlose Affäre mit einem verheirateten Mann? Wir haben beschlossen, es mit dieser Reise zu beenden.«
»Und wollte er das auch?«
»Nein. Er wollte es nicht. Aber er musste einsehen, dass ich es wollte. Wir haben uns in Freundschaft getrennt, außerdem hat er jetzt sowieso Proben in München. Mich hat einmal ein Mann verlassen, das wird nicht wieder geschehen. Ich bestimme, wann es vorbei ist.«
Sie saß in dem hellgrünen Samtsessel, die Beine hingen über die Lehne, sie trug einen schwarzen Hausanzug, ihr Haar war etwas kürzer und hatte eine rotbraune Tönung. Sie sah sehr hübsch aus und war völlig gelassen.
Der hellgrüne Samtsessel gehört zu der neuen Einrichtung, von der Dorothea vor Jahren gesprochen hatte, als sie sich zum ersten Mal nach dem Mauerbau in der Pension getroffen hatten.
Sie hatte die Öffnung der Grenze noch erlebt, doch es hatte ihr nichts mehr bedeutet. Sie war sehr krank und starb schon im Dezember 1989. Zuletzt war sie sehr allein gewesen, denn ihr Freund lebte bereits seit fünf Jahren nicht mehr.
Damals, im November 1989, hatte sie zu Thomas gesagt: »Du kommst jetzt zu mir. Wir gehören wieder zusammen. Hätten wir nie gedacht, dass dies einmal geschieht. Du? Ich nicht.«
Thomas hatte zunächst gezögert, denn Geraldine wohnte bei ihm und war wie er ohne Engagement.
Die alte Wohnung in der Schumannstraße, in der er aufgewachsen war, hatte sich wirklich verändert, sie war zwar etwas kitschig, aber auch ziemlich kuschelig geworden.
Vor allem freute er sich über die vielen Bücher, die Dorothea im Laufe der Jahre gesammelt hatte. Bücher aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren, die er mit Vergnügen las. Alles, was Thomas Mann je geschrieben hatte, war vorhanden. Ihm verdankte er seinen Namen, denn Dorothea hatte am liebsten die Bücher von Thomas Mann gelesen. Alle Klassiker waren da, Goethe, Schiller, Lessing, Kleist, und Thomas konnte sich daran erinnern, wie er als Junge alles verschlungen hatte, was die großen Dichter geschrieben hatten. Auch von den Nazis verbotene und verbrannte Autoren waren dabei; Tucholsky, Remarque, Feuchtwanger. Dorothea hatte kein Buch hergegeben; die Ideologie der Nazis hatte ihr nie etwas bedeutet. Bert Brecht gab es in jeder Fassung, schließlich hatte sie ja am Berliner Ensemble gearbeitet.
Den größten Spaß jedoch hatte Thomas an der Küche. Seine Mutter war eine gute Köchin gewesen, er hatte das Kochen von ihr gelernt und tat es für sein Leben gern. Dank Geraldines Gage musste er nicht mehr sparen, er hatte ein paar neue Geräte angeschafft, und gleich am Tag nach ihrer Rückkehr, fragte er: »Was willst du heute essen?«
Geraldine sagte: »Also keine Pasta, die habe ich jetzt genug gehabt. Wie wär’s denn ganz einfach mit Buletten?«
»Du bist sehr bescheiden. Aber mit Gemüse. Bei mir gibt es immer Gemüse oder Salat dazu.«
»Artischocken esse ich besonders gern.«
»Gut, die gibt es als Vorspeise. Und zu den Buletten mache ich Rosenkohl. Einverstanden?«
»Wunderbar.«
»Und Sonntag mache ich Fasan mit Kartoffelpüree und Weinkraut. Kannst du dich daran erinnern, dass du das als Kind mal gegessen hast?«
Sie zögerte. »Nein, eigentlich nicht. Haben wir das gegessen?«
»Haben wir eben nicht. Wir konnten uns das gar nicht leisten. Aber ich habe es als Kind besonders gern gegessen. Mit dir war ich manchmal Spaghetti essen, das war dein Leibgericht.«
»Daran erinnere ich mich sehr gut.«
Thomas Bantzer war jetzt sechsundsechzig. Er hatte graues Haar, Falten, die ihn interessant machten, und große ausdrucksstarke Augen. Er sah immer noch sehr gut aus, und sein Typ war gefragt. Öfter bekam er jetzt ansehnliche Rollen im Fernsehen. Und dass er der Vater jener Geraldine Bansa war, deren Bild man viel in den Zeitschriften gesehen hatte und die eine herausragende Rolle in diesem seltsamen Amphitryon-Film gespielt hatte, von dem ebenfalls viel die Rede war, wusste man nun auch.
So friedlich, wie ihr Wiedersehen in Berlin anfangs aussah, blieb es nicht.
Bereits am nächsten Tag tauchte Sebastian Klose auf.
»So, du bist also wieder da. Eine Hochzeitsreise nach Venedig, sehr sinnig.«
»Eine Hochzeitsreise würde ich es nicht nennen.«
»Denk ja nicht, dass man nicht weiß, wo du warst und mit wem. Linda Dingsda, von diesem Käseblatt, hat euch gesehen. Sie fährt mit Vorliebe im November nach Venedig, dann sei es am Canal Grande richtig gemütlich, sagt sie.
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