Kuss des Apollo
er.
Seit Paris hatte sie ihn nicht mehr gesehen.
»Was ist?«, fragte Frobenius.
Er folgte ihrem Blick.
»Das ist ja Harald«, sagte er, stand auf und hob die Hand.
Geraldine sah sprachlos zu ihm auf.
»Ein Kollege von Ihnen, Geraldine. Soviel ich weiß, ist er am Thalia Theater engagiert.«
Da kam dieser Harald schon auf sie zu, begrüßte Frobenius, ließ verlauten, wie sehr er sich freue, die berühmte Geraldine Bansa kennen zu lernen.
Er hatte dunkles Haar und dunkle Augen. Das war es schon. Ich bin verrückt, dachte Geraldine.
Aber ich habe ihn so lange nicht gesehen. Wie sollte er auch nach Sylt kommen. Aber in Hamburg …
Sie lächelte verzerrt. Der junge Mann setzte sich zu ihnen, erzählte von seiner Arbeit, geprobt würde noch nicht, erst im nächsten Monat würde man beginnen. Er sprach von der Rolle, die er spielen würde, nur eine kleine Rolle, wie er mit Bedauern feststellte.
»Ich bin ja noch Anfänger. Und es ist heutzutage schwierig, richtig zu landen. So ein rascher Erfolg, wie er Ihnen beschert wurde, Frau Bansa, das ist selten geworden. Es sei denn, man lässt sich im Fernsehen billig vermarkten. Aber diesen Ehrgeiz habe ich nicht.«
Geraldine lächelte vage, sprach kaum ein Wort.
Nein, im Atlantic wohne er nicht, sagte der junge Mann, das könne er sich noch nicht leisten. Aber er freue sich sehr, dass man sich getroffen habe. Er war heiter, freundlich, machte Geraldine ein Kompliment.
»Wissen Sie, was ich mir wünsche?«
Und als keine Antwort kam: »Ich wünsche mir, wir könnten einmal zusammen arbeiten.«
»Ach ja«, sagte Geraldine albern.
»Wir sind momentan mit neuen Plänen beschäftigt«, sagte Frobenius, nun auch irritiert von ihrem seltsamen Benehmen. »Frau Bansa hat einige Treatments zur Beurteilung.«
Was für ein blödsinniges Geschwafel, dachte er gleichzeitig. Doch nun lächelte Geraldine auf einmal.
»Ich werde genau aufpassen, ob eine geeignete Rolle für Sie dabei ist, Harald.«
Und im gleichen Moment ärgerte sie sich über ihre Worte. Sie tat so, als ob sie etwas zu entscheiden hätte.
Sie war verloren und verlassen.
Da ging ein fremder Mann durch den Raum, sie erblickte ihn und dachte …
Kurz darauf waren sie wieder allein.
»Noch einen Whisky?«, fragte Frobenius.
»Nein, danke.« Und nach einem kurzen Zögern: »Einen kleinen vielleicht.«
Einen kleinen Whisky gab es nicht, aber viel war sowieso nicht in dem Glas, das der Kellner brachte.
Es war ein lähmendes Schweigen zwischen ihnen entstanden.
»Vielleicht fahren wir morgen Vormittag an die Landungsbrücken«, sagte Frobenius dann. »Sie wollten doch gern den Hafen sehen.«
»Ja, doch, gern«, erwiderte sie abwesend.
»Ich denke, wir sollten jetzt schlafen gehen«, sagte Frobenius nach einem weiteren Schweigen. »Sie sind sicher müde. Schließlich war es ein langer Tag für Sie.«
Plötzlich lachte sie.
»Ich bin ausgeruht und ausgeschlafen. Trotz Alexander und Jörg. Und tanzen waren wir nur einmal. Sonst haben wir sehr solide gelebt. Wie ich es gewohnt bin.«
Er brachte sie zur Tür ihres Appartements.
»Gute Nacht. Schlafen Sie gut, Geraldine.«
Sie hob beide Hände, spreizte die Finger.
»Lass mich nicht allein. Lass mich nicht allein«, flüsterte sie.
»Geraldine …«
»Lass mich nicht allein.«
Sie schlang die Arme um seinen Hals, drückte ihr Gesicht an seine Wange. Ihre Augen standen voller Tränen.
Frobenius nahm ihr den Schlüssel aus der Hand und schloss die Tür auf. Schob sie ins Zimmer, denn hinter ihnen kamen Leute den Gang hinunter.
»Bitte, Geraldine, beruhige dich. Ich verstehe gar nicht …«
»Nein, das kannst du nicht verstehen. Das musst du auch nicht verstehen. Aber bleib bei mir.«
Sie legte ihre Wange an seine, und dann küsste sie ihn, küsste ihn lange und leidenschaftlich.
Frobenius stieg das Blut in den Kopf, er hielt sie nun in den Armen, spürte ihren Körper, sein Körper antwortete.
Sie standen noch an der Tür, sie ging langsam rückwärts, in das Zimmer hinein, hielt ihn immer noch fest.
Schließlich gelang es ihm, sich zu befreien.
»Es war ein anstrengender Tag«, sagte er mühevoll. »Die lange Fahrt … du wirst müde sein, und …«
»Es ist keine lange Fahrt von Westerland nach Hamburg«, widersprach sie ganz sachlich. »Und ich bin nicht müde. Ich will nur nicht allein sein. Ich bin jetzt seit Monaten allein. Niemand liebt mich. Bleib bei mir.«
Was sollte er darauf erwidern? Was würde einigermaßen glaubwürdig klingen?
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