Kuss des Apollo
hatte zwar zwei Verabredungen für den kommenden Tag, doch vielleicht war es möglich, am Vormittag mit ihr an die Landungsbrücken zu fahren. Dann musste sie einen späteren Zug nach Sylt nehmen. Und obwohl sie inzwischen viel erlebt und auch gemeistert hatte, zweifelte er, ob sie allein in Altona einen Zug erreichen würde.
Was albern von ihm war, wie er sich gleich zurechtwies. Und eventuell fand er im Hotel jemanden, der sie zum Bahnhof brachte. Oder sie fuhr nicht von Altona ab, sondern nahm einen IC, der vom nahe gelegenen Hauptbahnhof abfuhr.
Er würde sich im Hotel gleich nach einem Zug erkundigen. Er sprach jedoch mit keinem Wort davon. Auf einmal fand er es einen unsinnigen Einfall, dass er Alexander veranlasst hatte, sie mit nach Hamburg zu bringen. Es wäre doch besser gewesen, sie wäre in Keitum geblieben, wo sie sich inzwischen gut auskannte und von seiner Schwiegermutter versorgt wurde.
Warum nur hatte er sich gewünscht, dass sie mitkam? Die Treatments hätte er ihr genauso gut nach Sylt schicken können. Doch gleichzeitig gab er zu, dass er sie hatte sehen wollen. Ob sie sich erholt hatte, ob sie sich wohlfühlte, und schließlich und endlich wollte er wissen, wie es zwischen ihr und Alexander stand.
Der Abschied am Flughafen fiel ziemlich kurz und schweigsam aus.
Alexander sagte nur: »Pass gut auf und fall nicht vom Pferd. Und grüß Nelson von mir.«
Geraldine lächelte abwesend. Kein Händedruck, kein Kuss.
Während sie wieder stadteinwärts fuhren, sagte Frobenius: »Sie mögen den Hund meiner Schwiegermutter, nicht wahr?«
»Ja. Und eigentlich möchte ich nur seinetwegen wieder zurück.«
»Gefällt es Ihnen bei Frau Holm nicht?«
»O doch, ja. Sie ist sehr freundlich. Aber ich …«, sie stockte.
»Was wollten Sie sagen, Geraldine?«
»Ach, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich komme mir irgendwie verloren vor. Verlassen. Das liegt nicht an Frau Holm. Nicht an Sylt. Die Insel ist wunderschön. Aber ich fühle mich so einsam. Wenn Nelson nicht wäre. Und die Pferde natürlich. Aber ich kann ja noch nicht gut reiten. Und die anderen sind immer da.«
»Was meinen Sie damit, die anderen?«
»Na ja, die Freunde von Alexander. Sie sind alle sehr nett. Und sehr lustig. Aber ich gehöre nicht dazu. Sie sind immer im Reitstall. Nur mit Nelson kann ich allein sein.«
Allein am Watt sitzen, auf das Wasser blicken, den Wolken nachsehen, das Schilf rauschen hören, wenn der Wind wehte. Sie schätzte das richtig ein. Sie würde allein nichts unternehmen, in kein Lokal gehen und auch nicht mehr in den Stall, wo sie mit den Pferden nicht allein sein konnte. Eigentlich wollte sie gar keinen mehr wiedersehen. Auch den Kapitän nicht, der nicht ihr gehörte, sondern seiner Familie. Silke wollte sie nicht mehr sehen, nicht Dirk oder Andreas und wie sie alle hießen.
Und wenn sie jetzt nicht einmal mehr ihren Vater hatte … Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, und grub die Nägel in ihre Handfläche. Sie würde sehen, ob sie irgendwo einen Whisky bekäme, und am liebsten wäre es ihr, wenn Frobenius auch verschwinden würde. Sofort und für immer.
»Ihr Vater ist ja wieder da, das wissen Sie, Geraldine«, sagte Frobenius, als er den Wagen in die Hotelgarage fuhr.
»Die Aufnahmen sind beendet, ich habe es in der Zeitung gelesen«, sagte sie. Doch sie verschwieg, dass sie versucht hatte, Thomas zu erreichen. Das Telefon in Berlin läutete, doch niemand hatte abgehoben.
Er war also heimgekehrt, und er wohnte bei Leonie. Er wusste, dass sie auf Sylt war, sonst wäre er wohl gekommen. Aber zweifellos war es ihm lieber, bei dieser Frau zu sein als bei seiner Tochter. Endlich wieder eine Frau, die ihm etwas bedeutete. Eine Frau, die er liebte.
War es nicht sein gutes Recht?
»Haben Sie ihn gesprochen?«, fragte sie widerwillig.
»Ja. Er war bei mir. Es war sehr anstrengend, ziemlich warm, aber die Aufnahmen seien gut geworden. Recht amüsant, wie er es nannte.«
»So. Das freut mich.«
Frobenius gab ihr wieder einen Blick von der Seite.
»Er sieht gut aus, ganz braun gebrannt. Und er machte einen zufriedenen Eindruck.«
»So«, sagte sie wieder.
»Jetzt werden Sie sich ein wenig ausruhen, und dann werden wir schön zu Abend essen. Ich nehme an, es gefällt Ihnen, wieder einmal in einem Hotel zu wohnen«, sagte er, als sie in der Halle des Atlantic standen.
Er war verunsichert, sie wirkte so scheu, geradezu verängstigt. Möglicherweise war es keine gute Idee gewesen, sie
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