Kuss des Feuers
im Klaren zu sein, wie Mirandas aufgelöster Zustand wirken musste. Außerdem konnte Miranda sich vorstellen, dass der Dame daran gelegen war, es nicht nach außen dringen zu lassen, wie ihr verrückter Onkel einen Gast behelligt hatte. »Die Treppe hoch gibt es ein kleines Gästezimmer«, sagte Lady Blackwood. »Benutzen Sie es ruhig so lange, wie Sie möchten.«
Während Miranda die Treppe zum Gästezimmer hochstieg, war sie entschlossen, nicht mehr an den Vorfall mit Rossberry zu denken.
Miranda hatte ihm noch irgendetwas Beleidigendes hinterhergerufen, als er ging. Ein so schnell und leise hervorgestoßener Kraftausdruck, dass Archer sich fragte, ob sie überhaupt gemerkt hatte, was ihr über die Lippen kam. Die Bezeichnung war recht treffend gewesen – sie ahnte vermutlich nicht, dass er sich selber für einen Mistkerl hielt. Normalerweise genoss er die Rededuelle mit ihr und wartete immer neugierig darauf, was sie ihm als Nächstes an den Kopf warf. Aber er konnte sehen, dass er sie mit seiner Ablehnung enttäuscht hatte. In Wirklichkeit hätte er schrecklich gern mit ihr getanzt. Doch er fürchtete, dass er sie nie wieder loslassen würde, hielte er sie einmal im Arm. Trotzdem musste er über ihr lästerliches Mundwerk grinsen. Dadurch war es mit ihr nur noch ergötzlicher. Vielleicht war es der Italiener in ihm, aber bei jedem ›Verdammt‹, das über ihre vollen Lippen kam, jedes Mal, wenn sie mit ihrer rauchig-süßen Stimme ›verflixt und zugenäht‹ sagte, schoss glühende Hitze durch seinen Schwanz. Jedes Mal.
Die Polka wechselte zu einem Walzer, als er sich durch die Menge schob und darauf achtete, nichts von dem Champagner aus den Gläsern, die er in den Händen hielt, zu verschütten. Im Gedränge war es viel zu heiß. Seine Maske juckte. Schweiß lief ihm seitlich am Gesicht hinunter, und er hatte keine Möglichkeit, ihn sich wegzuwischen. Mit jedem Tag, der verging, kam ihm die Maske mehr wie ein Gefängnis vor. Es wurde immer schwerer, die Welt auszusperren. Ihretwegen. Wegen Miranda.
Plötzlich riss Archer den Kopf hoch. Diese Stimme. Er kannte sie. Seine Brust zog sich so abrupt zusammen, und der Atem stockte ihm. Im Gewirr aus Musik und Gelächter versuchte er zu erkennen, aus welcher Richtung die Stimme kam.
»
Miranda
…«
Roter Nebel breitete sich vor Archers Augen aus. Seine Brust hatte sich so stark zusammengezogen, dass es schmerzte. Gottverdammter Mist. Die Beine gaben fast unter ihm nach, als die Wut in ihm hochschoss. Das Glas fiel auf den Boden und zerbrach in tausend Stücke. Er war schon auf halbem Weg zur Treppe, als er merkte, dass er einen Schritt getan hatte.
Jemand schrie auf, als er einen Unseligen zur Seite schob, der ihm im Weg stand. Er lief noch schneller. Mirandas Parfum hing noch in der Luft, nachdem sie die Treppe vor einer Weile hochgegangen war. Archer hörte wieder das widerliche Lachen, das jetzt in ein leises Kichern überging, und dann Miranda, die etwas rief. In Archer zog sich alles zusammen. Miranda war da oben und hatte das Lachen genau wie er hören sollen. Sie ging diesem Wesen in die Falle. Die Angst um Miri lähmte ihn einen schrecklichen Moment lang, dann raste er die Treppe hinauf.
23
Mit akkurat hochgestecktem Haar trat Miranda aus dem Gästezimmer. Sie fühlte sich erfrischt und dachte leicht amüsiert daran, wie sie sich von Rossberry hatte überwältigen lassen. Ihre gute Stimmung schwand, als sie sich in einem dunklen Flur wiederfand und feststellte, dass alle Lichter gelöscht worden waren.
»Miranda.«
Verwirrt stützte sie sich mit einer Hand an der Wand ab. Die Stimme war körperlos. Miranda konnte nicht erkennen, aus welcher Richtung sie kam.
»Miranda.«
»Hallo?«, rief sie fragend.
Keine Antwort. Die Vernunft riet ihr wegzulaufen. Aber sie konnte nicht. Als sich die Tür am anderen Ende des Gangs langsam knarrend öffnete, blieb sie wie erstarrt stehen, während ihre keuchenden Atemzüge wie Donnerschläge in der hallenden Stille dröhnten.
Eisige Nachtluft strich über ihre erhitzten Wangen, während die Tür vor und zurück schwang. Das war nur der Wind. Die Terrassentüren, die zur Auffahrt hinausführten, standen offen, und die weißen Spitzenvorhänge flatterten und wehten. Blaues Mondlicht glitt geisterhaft über das Parkett zum Teppich. Sie zerrte sich die Maske vom Gesicht und bewegte sich wie gebannt vorwärts. Irgendetwas wartete auf sie.
Gleich würde sie einen Schrei ausstoßen. Sie spürte, wie er in ihrer
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