Kuss des Feuers
bohrte sich in Archers Haut. »Ich habe alle Zeit der Welt. Du leider nicht.« Das maskierte Gesicht über ihm neigte sich zur Seite, sodass das fahle Mondlicht darauf fiel. »Wir haben genug gespielt. Jetzt wird entschieden.«
Das Messer schnitt durch sein Halstuch und das dünne Leinenhemd und zog einen brennenden Pfad zu seinem Herzen. Schweiß trat auf Archers Stirn, als die rasiermesserscharfe Klinge an der Stelle anhielt, wo sein Herz in der Brust schlug. »Dein Herz oder ihres.« Die Augen hinter der Maske blitzten auf. »Das heißt, wenn ihres nach der heutigen Nacht überhaupt noch schlägt.«
Archers Finger zuckten. Seine Absätze bohrten sich in die Erde, ohne etwas auszurichten. War sie unter der Kutsche zerquetscht worden? Trotz des Messers bäumte er sich auf und spürte, wie die Spitze sich in sein Fleisch bohrte. Die Knie drückten seine Arme noch fester auf den Boden. Vor Wut sah er alles durch einen roten Nebel. »Dann tu es.« Er knirschte mit den Zähnen. »Nimm meins, und lass uns das hier hinter uns bringen.«
Ein lautes Lachen war die Antwort. »Dann würdest du also lieber sterben als sie retten?«
Archer erbleichte, und das Lachen verbreitete eisige Kälte. »Ich hätte nicht gedacht, dass du das tun würdest. Sei versichert, dass ich sie in ganz kleine Stückchen schneiden werde, wenn du fort bist, solltest du mir doch dein Herz verwehren.«
Plötzlich war das Messer fort. Eisiger Atem traf Archers Nase, als das maskierte Gesicht sich tiefer über ihn beugte. »In diesem Jahr fallen Neumond und Wintersonnenwende zusammen. Das heißt in vier Tagen von heute an. Ein Wandel unter solch mächtigen Bedingungen wird dein romantisches Herz unberechenbar stark machen. Deshalb gewähre ich dir einen Aufschub.« Zähne blitzten in der Dunkelheit auf. »Um zu zeigen, wie fürsorglich ich sein kann, lasse ich dich bis dahin am Leben. Wenn du dich nicht fügst …« – eine Hand holte aus und versetzte Archer einen leichten Schlag, womit er dessen Schwäche noch einmal hervorhob – »werde ich ihr nicht nur Herz und Augen herausschneiden, sondern es auch noch bei lebendigem Leibe tun.«
Mit einem Ruck hob Archer den Kopf, um dem widerwärtigen Wesen die Nase zu zerschmettern und alles zu unternehmen, um es zu töten. Doch er traf nur Luft und stieß ins Nichts. Lachen hallte in der Leere wider, dann war er allein und hockte wie ein Kind auf der dunklen Straße.
24
Dunkelheit. Stille. Einen Moment lang genoss Miranda diesen Zustand. Sie atmete keuchend und klammerte sich an den Boden, als wäre er ein Anker. Erde krümelte unter ihren Fingern, und totes Wintergras kitzelte ihre Nase. Sie nieste und stieß mit dem Hinterkopf gegen etwas Hartes. Als ihr klar wurde, dass die Kutsche über ihr lag, zuckte sie entsetzt zusammen. Sie zappelte hilflos herum, um sich aus ihrem Gefängnis zu befreien. Doch die Kutsche rührte sich nicht von der Stelle. Ein schmerzhafter Druck lag auf ihrer Brust, und sie bekam kaum noch Luft.
Atme!
Sie bemühte sich, ihre Lungen langsam mit Luft zu füllen, und dann noch einmal.
Versuchsweise wackelte sie mit den Zehen und den Fingern … alles funktionierte – alles schmerzte, doch nirgends war ein stechender Schmerz. Bis auf das schreckliche Dröhnen in ihrem Kopf und das leichte Pochen in Ellbogen und Knien fühlte sie sich vollkommen in Ordnung.
Sie hatte Platz, zwar nicht viel, aber genug. Kein Ton von den Pferden. Was eigentlich in Ordnung war, bis auf den Umstand, dass im Umkreis von mehreren Meilen keine Menschenseele war und sie sich bestimmt außer Sichtweite der Hauptstraße befand. Der Gedanke an Insekten und anderes Getier, das angekrabbelt kam, um an ihr zu knabbern, ging ihr nicht aus dem Kopf, und sie fing an zu zittern. Plötzlich ertönte das unheimliche Geräusch sich biegender Bretter. Sie erstarrte, und das Herz schlug ihr bis zum Hals. Ein anderes Geräusch drang durch die gedämpfte Stille ihres Grabes. Der Ruf eines Mannes. Sie drückte ein Ohr an die Kutschwand. Wieder war ein angsterfülltes Brüllen zu hören … ein Laut, der ihr direkt ins Herz fuhr.
»Miranda!«
»Archer«, flüsterte sie, und Tränen ließen alles vor ihren Augen verschwimmen. Ein wimmerndes Schluchzen kam über ihre Lippen. Er war gekommen. Er lebte.
»Miranda!« Seine Stimme war jetzt deutlicher zu hören. Er stand neben der Kutsche und suchte offensichtlich nach ihr, ohne sie zu entdecken.
»Ich bin hier.« Ihre Stimme klang jämmerlich leise und ganz schwach
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