Kuss des Feuers
gedacht.«
Der Mann fing an, sich wie seine Mutter anzuhören. Andererseits hatte Leland immer etwas an einem auszusetzen. Leland, der Inbegriff von Vernunft und Anstand – bis er zum
West Moon Club
gestoßen war.
»Ich lasse dir einen Hausmantel holen.«
Archer schnaubte. »Danke, nein.« Er biss die Zähne zusammen, weil er auf keinen Fall wollte, dass sie anfingen vor Kälte zu klappern. Dann ließe sich keine vernünftige Unterhaltung führen.
Leland nahm einen großen Schluck von seinem Scotch. »Ich bestehe darauf. Wilkinson wird mir bis in alle Ewigkeit Vorhaltungen machen, wenn der Teppich oder, Gott bewahre, die Polster durchnässt werden.«
»Die herrschende Klasse lebt in Angst vor ihren scheltenden Angestellten.« Archer lächelte und trank erneut.
»Genau.« Leland griff nach dem Klingelzug.
Umgehend erschien der Butler und reichte Archer mit ausdrucksloser Miene einen albernen Hausmantel, der mit safrangelben Schmetterlingen bedruckt war. Archer begutachtete ihn finster. »Gehört der deiner Frau?«
»Ein Geschenk von ihr, leider.« Lelands Miene nahm einen traurigen Ausdruck an. »Sie sind alle von ihr. Ich kann mich nicht dazu überwinden, mir neue zu kaufen.«
Ein Frösteln breitete sich in Archers Nacken aus. »Wann ist sie von uns gegangen?« Hatte Leland sie geliebt? Als er sie geheiratet hatte, bestimmt nicht. Das hatte Leland Archer vor langer Zeit gestanden. Archers Finger ballten sich um die verschlissene Seide.
»Neunundsechzig. Schnell, du tropfst immer noch.« Leland schnaubte. »Oder willst du dich wie eine verschämte Jungfrau aufführen und nebenan umziehen?«
Archers Hände verharrten zögernd an seinem Kragen. »Bist du sicher, dass du es sehen willst?«
Lelands Schnurrbart sackte nach unten. »Entschuldige. Ich hatte es vergessen. Falls es dich stört, kann ich auch nach draußen gehen.«
Archer löste seine Krawatte. »Es stört mich nicht.« Irgendwie wollte er, dass Leland es sah … sah, was er gemieden hatte. Damit er verstand, was Archer durchmachte. Als Erstes zog er an seiner durchweichten Maske. Die aufgequollenen Bänder rissen, und sie löste sich.
»Gütiger Himmel«, keuchte Leland. Er ließ sich schwer in seinen Sessel sinken und versuchte, einen Schluck aus seinem Glas zu nehmen. Doch seine Hand zitterte so stark, dass es ihm nicht gelang.
»Ich habe dich gewarnt.« Archer sagte es leichthin, doch seine Brust hatte sich zusammengezogen. Gegen seinen Willen fühlte er sich nackt, als hätte er seine Seele nach außen gekehrt.
»Ja, das hast du.« Schließlich gelang es Leland zu trinken, während Archer sein Hemd auszog und in den Hausmantel schlüpfte. Vorher hatte er noch gesehen, wie Lelands Augen schnell zu seiner nackten Brust gegangen waren, ehe er den Blick hastig wieder abgewandt hatte. Ein leichter Schauder ging durch den Körper des alten Mannes.
Sie hatten alle den Beginn seiner Veränderung gesehen, doch damals war sie auf seine rechte Hand beschränkt gewesen. Und jetzt … Der gesetzte, verlässliche Leland wirkte bis ins Mark erschüttert. Wie würde Miri da erst reagieren? Er schluckte und hätte am liebsten die Maske wieder aufgesetzt, doch sein Stolz hinderte ihn daran.
»Gräme dich nicht«, meinte Archer und setzte sich in den anderen Sessel, der vor dem Kamin stand. »Bist ja nicht du.«
»Ich hätte es aber sein können.« Leland fuhr sich mit seiner knorrigen Hand über die Augen. »Wäre ich nicht so ein Feigling gewesen.« Mit erschöpfter Miene blickte Leland zu Archer. Wieder zuckte sein Gesicht, aber diesmal wendete er den Blick nicht ab. »Wir wurden beide ausgewählt. Doch nur du hattest den Mut, es auszuprobieren.«
Archers Kehle brannte. »Und sieh, was es aus mir gemacht hat.«
»Das tue ich.« Leland holte tief Luft und stellte sein Glas ab. »Bei was brauchst du meine Hilfe?«
Das war jetzt einfacher. Archer zog seine Handschuhe aus, froh, das nasse Leder nicht mehr auf der Haut spüren zu müssen. Er konnte sehen, dass Leland den Ring wiedererkannte, den er trug. Er zog ihn sich vom Finger und holte Daouds Nachricht aus ihrem Versteck. »Ich möchte, dass du das liest. Hier ist der Codierschlüssel.«
Leland suchte in der Brusttasche nach seiner Brille. »Wenn du bitte das Licht heller machen würdest. Leider sind meine Augen nicht mehr das, was sie mal waren.«
Die Lippen des Mannes bewegten sich beim Lesen, und sein Kopf war zum Licht geneigt. Auf der Spitze seiner langen Nase balancierte er eine Brille mit
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