Kuss des Feuers
im Dunkel. Er würde sie nicht hören.
»Archer!«, rief sie lauter und füllte den Raum mit ihrer Stimme.
Donnernde Schritte ließen den Boden beben, dann rüttelte jemand an der Kutsche. Das hölzerne Fahrgestell sackte ein paar Zentimeter tiefer und drückte sich in ihren Rücken.
»Halt!«, kreischte sie. »So zermalmst du mich!«
Schon seltsam, dachte sie, als der Druck auf der Stelle nachließ. Man konnte doch immer erkennen, dass jemand heftig fluchte, auch wenn die Worte nicht zu verstehen waren. Die Vorstellung des wütenden Archer gab ihr mehr Kraft als alles andere. Er würde Hilfe suchen und sie befreien.
Als ein lautes Ächzen durch das Holzgestell der Kutsche ging und der Druck, der auf ihr lastete, abnahm, konnte sie nur benommen vor sich hin starren. Er hatte doch nicht vor, das verdammte Ding ganz allein hochzuheben?
Doch genau das plante er. Die Kutsche kam langsam hoch, und fahles Mondlicht fiel in den größer werdenden Spalt. Die Spitzen schlammiger Stiefel erschienen in ihrem Blickfeld. Wieder hallte ein Ächzen durch die Nacht. Doch dieses war ganz und gar menschlich und der Anspannung geschuldet, unter der Archer stand. Eine Kakofonie aus splitterndem Holz, quietschenden Federn und Archers Brüllen füllte ihre Ohren, als die Kutsche wieder auf die gebrochenen Räder kippte und krachend neben ihr landete. Kühle, frische Luft strömte in ihre Lunge.
»Dem Himmel sei Dank. Miri … nein, halt!«
Archer sprang an ihre Seite, als sie auf die Knie hochkommen wollte.
»Versuch, verdammt noch mal, nicht hochzukommen! Dummes Ding, Frau … Du könntest dich am Rückgrat verletzt haben«, dozierte er, während er sich vor ihr hinkniete. »Ganz zu schweigen von …« Seine Worte drangen gar nicht mehr zu ihr durch, als sie seinen Anblick in sich aufsaugte – heil und unversehrt.
Seine normalerweise entspannte Oberlippe war fest auf die Unterlippe gepresst und zeigte seine Verärgerung. Die ausgeprägte Kinnpartie schimmerte fahl blau, zeigte aber keine Verletzungen.
»Deine Knöchel scheinen in Ordnung zu sein.«
Dunkel nahm sie wahr, wie seine Finger sanft über ihren Unterschenkel strichen. Er hatte immer noch seine seidene Maske auf, doch an der Ärmelnaht seines schönen Gehrocks verlief ein großer Riss, und ein Aufschlag fehlte. Insgesamt wirkte er jedoch nicht wie ein Mann, der sich kopfüber in die Verfolgung einer davonrasenden Kutsche gestürzt hatte.
»Kannst du den Kopf drehen? Ich sagte: Kannst du den Kopf drehen?«
»Bitte?« Sie blinzelte und merkte, dass er sie aus schmalen Augen musterte.
»Kannst du deinen Kopf drehen?«, fragte er. Sie merkte ihm deutlich an, dass er sich zur Geduld zwang. »Langsam.«
Sie drehte den Kopf von einer Seite zur anderen.
»Gut.« Er setzte seine Untersuchung fort. »Kannst du die Arme heben?«
Sie tat, wie ihr geheißen, während sie nur mit halbem Ohr zuhörte. Ihr Blick war am Wrack der Kutsche hängen geblieben. Am aufgewühlten Boden war die Stelle zu erkennen, an der die Kutsche die Böschung hinuntergerutscht war. Sie war in einem Flussbett gelandet. Nur Glück und der Trockenheit der vergangenen Wochen hatte sie es zu verdanken, dass sie in die tiefste Stelle des ausgetrockneten Flussbettes gefallen und dann die Kutsche über ihr gelandet war, ohne dass sie Schaden genommen hatte. Ein Schauer der Erleichterung durchströmte sie.
Das Glück im Unglück, das sie gehabt hatte, riss sie aus ihrer Benommenheit. Erst jetzt merkte sie, dass Archers große Hände über ihre Hüften strichen, die nur mit einer dünnen Unterhose bedeckt waren.
»Hör auf!« Sie schlug nach seinen Händen.
Er verzog grimmig den Mund, sah aber nicht auf und schob ihre Hände zur Seite. »Halt still. Von allen eigensinnigen …« Er brummelte auf Italienisch weiter, und sie verstand nicht, was er sagte, denn ihre Kenntnisse dieser Sprache beschränkten sich auf einige Begriffe aus dem Bereich des Fechtens.
Seine großen Hände glitten jetzt über ihre Rippen, seine Berührungen waren sanft und regelmäßig. Dasselbe konnte von ihrer Atmung nicht behauptet werden, die sofort ins Stocken geriet, als er jeden Knochen ihres Brustkorbs einzeln abtastete.
Ein Daumen streifte kurz die weiche Unterseite ihres Busens, und sie erstarrte. Genau wie er. Archer hob den Kopf und sah ihr mit gerunzelter Stirn so tief in die Augen, dass sie seinen Blick nur wortlos erwidern konnte. Seine Augenbrauen zogen sich noch weiter zusammen, während seine Hände regungslos
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