Kuss des Feuers
Wänden befestigt, und von der Decke hing an einer schweren Eisenkette ein großer Kronleuchter, in dem immer noch dicke Kerzenstumpen steckten. In Vollmondnächten hatte die Höhle durch Hunderte von brennenden Kerzen immer orangefarben geglüht. Doch lange bevor der
West Moon Club
sie entdeckt hatte, war sie für altertümliche Rituale benutzt worden. Der Fackelrauch von tausend Jahren hatte die Decke schwarz verfärbt, und der Boden war durch viele Füße glatt getreten worden.
Einen einen Moment lang blieben die beiden Männer schweigend stehen, während die Erinnerungen auf sie einstürmten. Archer wusste, dass Leland an dieselbe Nacht dachte. Den Gesang, die Erregung. Den mit einer silbernen Flüssigkeit gefüllten Becher, die Quecksilber hätte sein können. Archer schloss die Augen. Der weißglühende Schmerz, der ihn durchzuckt hatte, während die eisige Flüssigkeit durch seinen Hals rann, hatte ihn vor seinen Freunden in die Knie gehen lassen. Und dann hatte sich Leland voller Scham und Entsetzen geweigert, den Becher leer zu trinken.
Archer ging zu der großen halbkreisförmigen Nische, die am anderen Ende der Höhle aus dem Fels geschlagen worden war und in der sich der Opferaltar befand. Auf dem großen Quader aus Granit lag eine dicke, schwere Basaltplatte. Jenes Lager aus Stein, auf das Archer sich hätte legen und das Ganze vollenden sollen – wäre er nicht voller Entsetzen gewesen ob des fürchterlichen Schmerzes, der seinen Körper nach dem Schlucken des widerlichen Gebräus erfasst hatte. Einen Moment lang meinte er, Gelächter zu hören.
Archer und Leland steckten ihre Fackeln in die Halterungen zu beiden Seiten des Altars, sodass die Nische schwach erhellt wurde.
»In der Mitteilung heißt es, es befände sich unter dem Altar.« Lelands dünne Stimme hallte leise durch den leeren Raum.
Wie raffiniert, dachte Archer. Er wäre nie auf die Idee gekommen, dass der Altar hohl sein könnte. Zitternd streckte er beide Hände aus. Er hatte Angst, den Stein zu berühren, zwang sich aber, es zu tun. Eisige Kälte drang durch seine Lederhandschuhe. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Archer biss die Zähne zusammen und begann, den Stein langsam vom Sockel zu schieben. Er drehte sich, und das Knirschen von Stein auf Stein erfüllte den Raum. Archer stemmte sich gegen die Platte und drückte noch fester. Der Stein rutschte noch weiter zur Seite und gab einen kleinen dunklen Spalt frei. Aus dem Sockel strömte ein Schwall trockener Luft, was sich in der Stille wie das Keuchen einer Frau anhörte. Archer sprang zurück. Leland ebenfalls. Doch nichts passierte.
Archer biss die Zähne zusammen und schob den Stein ganz zur Seite. Der große, rechteckige Sockel war tatsächlich hohl. Archer griff nach einer Fackel und beugte sich vor. Ein langes, braunes Bündel lag wie ein Baby tief in der dunklen Höhlung des Altars.
Leland nahm Archer die Fackel ab und hielt sie hoch, damit dieser hineingreifen konnte. Seine Finger berührten das Bündel, und jede Faser seines verwandelten Wesens schrie protestierend auf. Schmerzhaft zogen sich seine Muskeln zusammen. Archer holte tief Luft und zwang sich, die Finger um dieses Ding zu legen. In diesem Moment schien seine linke Seite einen erleichterten Seufzer auszustoßen. Sein Körper bestand aus zwei Hälften. Die eine, die furchtsam zurückwich, und die andere, die sich nach Erlösung sehnte. Schnell nahm er das Bündel heraus und legte es auf den Altar. Sonst befand sich nichts in dem Hohlraum.
»Wickel es auf«, sagte er zu Leland. Er schwitzte heftig, was sonst nie passierte, und bezweifelte, dass er mit seinen zitternden Händen die Aufgabe selber erledigen könnte.
Leland schien das zu verstehen. Er steckte die Fackel wieder in die Halterung und musterte vorsichtig das Bündel. Es bestand aus Leder und war so alt, dass die Umhüllung sich schon durch das Heben auf den Altar zu lösen begann. Da das Leder keine Verzierungen oder Kennzeichnungen aufwies, schnitt Leland die Hülle mit einem Taschenmesser auf und löste die einzelnen Lagen, wie er es wohl auch bei einer Mumie getan hätte. Archer erinnerte sich noch lebhaft daran, wie er einige davon in Kairo gesehen hatte, als sie sich noch für Archäologen hielten.
Der Eindruck verstärkte sich noch, als das brüchige Leder bröckelte und den Blick auf Leinenbandagen freigab. Leland beugte den weißen Kopf tiefer. »Eine Münze.« Er reicht sie Archer.
»Griechisch«, sagte Archer. »Sie stammt aus der
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