Kuss des Feuers
Zeit von Claudius I. Es ist eine Tetradrachme.«
Lelands Hände zitterten fast genauso stark wie Archers kurz zuvor. Als er das Leinen aufwickelte, kam ein weiterer Schatz zutage – eine kleine Sammlung von Papyrusrollen in einem Lederetui. »Die Schriften des römischen Soldaten.«
Daouds Angaben waren sehr genau gewesen. Zur Zeit von Claudius’ Herrschaft hatte ein junger Soldat namens Marcus Augustus zwei Briefe nach Hause geschickt, in denen er schrieb, dass er durch Zufall auf einen schrecklichen Zauber gestoßen war. Im ersten Brief beschrieb er seine Entdeckung, bei der es darum ging, wie man einen Dämon des Lichts heraufbeschwor. Ein Wesen von immenser Kraft, das Schuld von Unschuld unterscheiden konnte und damit alles Böse verbannte. Der zweite Brief war in einem anderen Ton gehalten. Darin flehte er seine Schwester an, den ersten Brief zu verbrennen. Und er teilte ihr mit, dass er seine Entdeckung an einem Ort verbergen würde, wo man sie nie wiederfände – in der Kultstätte der gerade ermordeten Druidenpriester. Für Archer war es ein Glück, dass die Schwester die Briefe nicht verbrannt, sondern aufbewahrt hatte, sodass Daoud sie mehr als tausend Jahre später hatte finden können. Weitere Nachforschungen Daouds hatten ergeben, wo der Soldat stationiert gewesen war. Aus einem anderen Bericht eines Kameraden des Soldaten erfuhr man, dass eine kleine Gruppe von Männern eine Höhle entdeckt hatte, in der sich ein Opferaltar aus Granit und Basalt befand. Die Beschreibung und die Lage der Höhle entsprachen exakt der von Cavern Hall.
Archer wusste, wie hart Daoud gearbeitet hatte, um sich die Geschichte bestätigen zu lassen. Er vermisste seinen Freund.
Für dich, mein Freund. Für all meine ermordeten Freunde
.
Lelands Fingerspitzen berührten die Papyri kaum, als er sie überflog. »Auch Griechisch. Ich werde mir gleich alles genau durchlesen.«
Archer nickte. Sein Gegenüber legte die Bögen beiseite, um nachzusehen, was sich noch in dem Bündel befand. Ein seltsames Summen drang heraus. Archer bezweifelte, dass Leland es hörte, doch er selber spürte es mit jeder einzelnen Nervenzelle. Seine Haut kribbelte, als auch die letzte Umhüllung fiel. Vor ihnen lag eine Schwertscheide aus Leder. Das verzierte Heft bestand aus Bronze, die seltsam neu schimmerte. Das war alles, was er sehen konnte, ehe er einen Schritt zurücktrat und Luft holte.
»Ganz ruhig«, murmelte Leland. »Jetzt kann es dir nichts anhaben.«
»Das sagst du«, würgte Archer mit einem Anflug von Erheiterung hervor. Mit zitternder Hand strich er sich über die Wange.
Leland drehte das antike Schwert, welches immer noch in seiner Scheide ruhte. »Faszinierend. Siehst du die Inschriften auf dem Heft?«
Archer rückte näher. »Ägyptische Hieroglyphen?« Mehr konnte er nicht hervorstoßen, ehe er wieder zurückwich.
»Ja. Wie überaus interessant. Also doch keine Druiden …«
Lelands wissenschaftliche Abgeklärtheit begann an Archers Nerven zu zerren. »Ist es das, wonach wir suchen?«, fragte er ungeduldig.
Leland zog die buschigen Augenbrauen hoch. »Das fragst du noch? Du spürst doch die Kraft, die dem Schwert innewohnt, oder nicht?«
»Auf jeden Fall.« Das und noch viel mehr. Er spürte seine eigene Sterblichkeit. Seltsam. Das Gefühl, in Todesgefahr zu schweben, war für ihn jetzt etwas fast gänzlich Fremdes.
»Man fragt sich unwillkürlich«, sinnierte Leland, »ob Cavern Hall deshalb als Kultstätte ausgewählt wurde.«
Die Mitglieder des
West Moon Clubs
hatten Cavern Hall nicht ausgesucht. Sie waren hingeführt worden, und man hatte ihnen gesagt, der Ort verfüge über große Macht. Genau das Richtige für diejenigen, die dumm genug waren, Gott spielen zu wollen, dachte Archer bitter. Er entfernte sich. »Warum wählt man ausgerechnet den Ort, der den einzigen Gegenstand beherbergt, der fähig ist, einen zu vernichten?«
»Ich glaube, sie haben sich wegen der Macht, die das Schwert ausstrahlt, zu diesem Ort hingezogen gefühlt. Man braucht nichts von dem Schwert zu wissen, um den Sog zu spüren.«
»Ja, das könnte wohl der Grund sein«, meinte Archer, während Leland das Schwert vorsichtig wieder hinlegte.
»Jetzt lass mich mal schauen …« Leland hatte die Papyri genommen und las darin. »Es scheint so, als hätte Daoud etwas falsch verstanden. Laut dem Soldaten, Augustus, erhielt eine Geheimsekte ägyptischer Priester, den Auftrag Wesen zu schaffen und zu versorgen, die sie
Kinder des Lichts
nannten.
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