Kuss des Feuers
zurück.
»Verdammt.«
Archer war weder in der Eingangshalle noch auf der Balustrade. Ein schneller Rundgang durch Esszimmer, Salon und dann wieder den Ballsaal erwies sich als vergeblich. Wie konnte ein so großer Mann in weniger als fünf Minuten verschwinden?
Miranda ging einen dunklen Flur entlang und dann einen kleinen Treppenabsatz hinauf, der zu der Seite des Hauses führte, wo die Zimmer der Familie lagen. Vielleicht hatte Archer sich ja über die gesellschaftlichen Regeln hinweggesetzt und sich in die Privatgemächer der Cheltenhams zurückgezogen. Es gab nur noch diese eine Möglichkeit, außer er hatte die Feier ohne sie verlassen, und bei dieser Vorstellung zog sich ihre Brust vor Schmerz zusammen. Sie ging fast auf Zehenspitzen, denn aus Furcht, entdeckt zu werden, versuchte sie, vorsichtig zu sein. Sie verspürte keine Lust jemand anderem als Archer zu begegnen.
Fast ganz am anderen Ende des Gangs entdeckte sie eine offen stehende zweiflügelige Tür. Gelbes Licht fiel rechteckig auf den roten Teppich. Stimmen drangen aus dem Zimmer, waren jedoch kaum mehr als ein An- und Abschwellen von Lauten. Sie wurde langsamer, denn die eine Stimme erkannte sie auf jeden Fall.
Entsprechend Lady Cheltenhams etwas überladenem Einrichtungsstil war auch diese Tür von schweren Brokatvorhängen eingerahmt. Lebensgroße Statuen aus schwarzem Marmor, die Hades und Persephone darstellten, hielten zu beiden Seiten Wache. Hades’ schwarze Hand streckte sich nach Persephones abgewandtem Kopf aus, der Mund stand offen, als würde er eine Bitte aussprechen. Miranda legte eine Hand auf Persephones kalten Marmorfuß und beugte sich vor.
Die melodische Stimme einer Frau ertönte. »Jetzt bist du endlich doch aus deinem Versteck gekommen, Benji.«
»Nenn mich nicht so.« Archers leise Stimme war kaum zu verstehen, aber die Wut, die darin mitschwang, deutlich zu erkennen. »Du hast jedes Recht verloren, mir irgendwelche Namen zu geben.«
Die Neugier trieb Miranda zum Bleiben, auch wenn sie Archer seine Privatsphäre schuldete.
Das leise Lachen der Frau klang hell wie Kristall. »Früher hattest du nichts dagegen, wenn ich dich Benji genannt habe,
Liebster
.«
Liebster? Zum Teufel mit der Privatsphäre.
Jetzt
würde sie nirgends mehr hingehen. Miranda wagte einen Blick. Das Paar stand allein vor einem Fenster mit dichten Vorhängen. Victoria ging langsam um ihn herum, wobei ihre behandschuhten Finger über seine Schulter glitten, während sie ihn musterte. Er stand da wie ein Felsblock und blickte starr geradeaus.
»Ich erinnere mich sogar eher daran« – die Schleppe ihres limonengrünen Kleides glitt um seine Knöchel – »dass es dir gefallen hat, wenn ich ihn gestöhnt habe, während du …«
Er packte ihr Handgelenk und riss ihren Arm mit einem Ruck hoch. »Woran du dich erinnerst, ist deine eigene Eitelkeit.« Drohend ragte er über ihr auf. »Wenn du auch nur ein Mal Augen für die Welt um dich herum hättest, würdest du wissen, dass man unsere gemeinsam verbrachte Zeit lieber vergessen sollte.«
»Mistkerl!« Sie holte aus, um ihn zu schlagen, aber er fing ihre Hand gewandt ab.
»Nimm dich zusammen«, rief er sie ruhig zur Raison, obwohl er alles andere als entspannt wirkte. Er ließ sie abrupt los, und sie taumelte einen Schritt zurück.
Victorias Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Das Gleiche sollte ich zu dir sagen. Du willst doch wohl nicht deine Maske bei einem Handgemenge verlieren. Die Leute könnten sehen, was sich darunter verbirgt.« Sie schnipste gegen sein Kinn, und es klickte laut, als ihr Finger die harte Maske traf.
Die Grausamkeit der Geste schnitt Miranda ins Herz, und sie biss sich auf die Unterlippe.
»Du willst doch nicht, dass dir deine süße Braut davonläuft, oder?«, fuhr Victoria fort, als Archer schwieg. Sie stieß ein trauriges Schnalzen aus. »Ach, ich hätte wohl sagen sollen ›jungfräuliche Braut‹, denn du wirst ihr ja wohl kaum beigelegen haben.« Sie lachte rau; ein fast schon männlicher Klang angesichts der unverhüllten Schadenfreude, die darin mitschwang. »Ich kann mir genau vorstellen, wie schnell sie dich verlassen würde, wenn sie einen Blick auf dich erhaschte.«
Archer holte aus und zitterte vor Anspannung, sich zurückzuhalten. »Wenn du keine Frau wärst …«, stieß er mit heiserer Stimme hervor.
»Oh ja, du würdest es tun, Archer.« Furchtlos sah sie zu ihm auf. »Wir wissen beide, dass du das und Schlimmeres getan hast. Du hättest dich
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