Kuss des Feuers
Seite … die Nasenspitze, seine linke Wange, Kiefer, Kinn und Lippen waren völlig entblößt.
Der Schock, nur allzu menschliche Haut bei ihm zu sehen, raubte ihr fast die Besinnung. Seine Haut war olivfarben und ein Hinweis auf mediterrane Vorfahren. Wie der Mann eine solch gebräunte Haut haben konnte, erschien ihr rätselhaft. Er musste sich rasiert haben, ehe er das Haus verlassen hatte, denn seine Wange war ganz glatt. Er pflegte sein Gesicht für eine Welt, die es nie sehen würde. Eine Schande.
Eine schmale Kerbe ritzte sein energisches Kinn. Doch dann zogen seine Lippen wieder ihren Blick auf sich. Sie wirkten wie gemeißelt: eine kräftige Unterlippe, die förmlich darum bettelte, dass man hineinbiss. Die Oberlippe war breiter und zuckte leicht vor ständiger Erheiterung. Römische Lippen. Sie hätte nicht gedacht …
»Wenn Sie mich weiter so anstarren, krabbeln Ihnen noch Fliegen in den Mund.«
Fasziniert beobachtete sie, wie sich seine Lippen bewegten, und nahm mit Erstaunen wahr, die so vertraute Stimme von ihnen fließen zu hören. Ein Mundwinkel hob sich. »Wollen Sie mich den ganzen Tag anstarren? Soll ich ein Selbstportrait anfertigen lassen, damit Sie in dessen Anblick versinken können?«
Sie schaute auf und erwiderte den Blick seiner verhangenen, tief liegenden Augen, die mit irgendeiner schwarzen Schminke bedeckt waren. Vielleicht Kajal. Um seine Augen herum konnte sie nicht einen Zentimeter seiner eigenen Hautfarbe sehen. Trotzdem lag ein freundlicher Ausdruck in den unendlichen grauen Tiefen. Seine Augen zogen einen Menschen in seinen Bann und ließen ihn nicht mehr los.
»Ja«, sagte sie.
Archers Kinn zuckte. »›Ja‹, Sie werden mich weiter anstarren? Oder ›ja‹, Sie hätten gern ein Portrait?«
Trotz des neckenden Tons verharrte er regungslos.
»Ja, ich werde weiterstarren«, erwiderte sie kurz angebunden.
»Warum sind Sie verärgert? Sie sagten, Sie würden meine andere Maske nicht mögen. Jetzt biete ich Ihnen einen anderen Anblick.«
»Die ganze Zeit sind Sie mit diesen schrecklichen Masken herumgelaufen, sodass ich Horrorfantasien hatte und … und …« Sie fuchtelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum. »Und die ganze Zeit hätten Sie nur diese viel kleinere Maske tragen können.«
Er presste die Lippen aufeinander, ohne dass sie ganz schmal wurden. »Wie kommen Sie darauf, dass das, was sich hinter dieser Maske verbirgt, Ihre Horrorfantasien nicht bestätigt?«
»Es geht hier nicht um irgendeinen entsetzlichen Anblick«, erwiderte sie. »Es geht um die Ausflüchte.« Unter der Maske hoben sich die Augenbrauen. »Diese Karnevalsmasken können überhaupt nicht bequem sein. Verdammt noch mal! Sie können damit ja noch nicht einmal essen oder trinken!«
Er verschränkte die Arme vor der Brust und wandte den Blick ab.
»Warum, Archer? Warum schließen Sie die Welt aus?«
Einen Moment lang dachte sie, er würde vielleicht nicht antworten.
»Ich will kein Mitleid.« Finster starrte er in das strenge Antlitz des griechischen Zentauren, der vor ihnen stand. »Es ist mir lieber, Furcht einzuflößen.«
Seine Stimme war nur ein Hauch. Sie klang gehetzt, und seine Einsamkeit schwang darin mit. Miranda ballte die Hände zu Fäusten, um sie nicht nach ihm auszustrecken. Sie verstand ihn. Tief im Innern wusste sie, dass die Welt lieber ihre Schönheit und nicht den Schmerz sehen sollte. Es hatte ihr einen Stich versetzt, als er von ihrer falschen Fassade gesprochen hatte, denn es stimmte.
»Und ich, Archer?«, flüsterte sie. »Wollen Sie mir auch Furcht einflößen?«
»Nein!« Er zögerte und verkrampfte sich. »Mir ist lieber, Sie haben alle möglichen Horrorfantasien, als dass Sie mein Gesicht ansehen und glauben, es könnte sich ein normaler Mann hinter der Maske verbergen.«
Heiße Röte stieg ihr in die Wangen. Genau das hatte sie angefangen sich vorzustellen.
Das Licht einer flackernden Gaslampe liebkoste den strengen Kiefer und die hohen Wangenknochen, als er das Kinn hob. »Denn den gibt es nicht. Ich bin nicht so verrückt, dieses Ding zu tragen, gäbe es keinen Makel.«
Er sah zur Treppe hin, als wäre ihm nichts lieber, als zu flüchten. »Vielleicht sollten wir gehen. Es wird langsam spät.«
Er wollte die Maske bereits wieder aufsetzen, als sie seinen Arm packte.
»Nicht«, sagte sie sanft. Die Muskeln unter ihrer Hand wurden hart wie Stahl, doch er entzog sich ihr nicht. Er ragte über ihr auf und wirkte trotz der jetzt halb enthüllten
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