Kuss des Feuers
die Leute zu mischen, Pan.«
Was höchstwahrscheinlich auch stimmte. Sie war zwar geübt darin, fast unsichtbar durch diese Straßen zu streifen, aber mittlerweile war sie zu groß, um noch als Kind durchzugehen, und trotz ihrer voluminösen Kleidung zu schlank, um wie ein Mann zu wirken.
»Wir haben zusammen eine hübsche Stange Geld gemacht«, fuhr er fort, »aber hier ist es nicht sicher. Nicht einmal für dich.« Die Härte in seinem Blick würde zwar nie ganz verschwinden, aber einen Moment lang trat ein besorgter Ausdruck in seine Augen.
Wie immer, wenn sie ihn ansah, beschlich sie ein seltsames Gefühl. Dass ausgerechnet er, der Junge, der sie vor ungefähr drei Jahren in einer einsamen Gasse beinahe vergewaltigt hätte, so viele Jahre später fast so etwas wie ein Freund geworden war, erstaunte sie immer wieder. Ihre Wege hatten sich ein zweites Mal gekreuzt, als ihr Vater sein Vermögen verloren und Miranda gezwungen hatte, sie mit kleinen Diebstählen über Wasser zu halten. Nur dass Billy Finger, der gerade dabei war, die vorbeigehenden Frauen aufs Übelste zu belästigen, eines Tages, als er ihr hinterherspionierte, mitbekam, wie sie einem Aristokraten auf der Bond Street seine Brieftasche abnahm.
Er folgte ihr und stellte sie noch einmal in einer schmuddeligen Gasse. Da ihr diesmal kein geheimnisvoller Fremder zu Hilfe eilte, war Miranda gezwungen, ihm zu demonstrieren, wie unfreundlich sie werden konnte. Doch sie wurde mitgerissen und die ganze Gasse zu einem Flammenmeer. Seine jämmerlichen Schreie zerrten an ihrem Gewissen. Entsetzt von dem Schaden, den sie angerichtet hatte, erstickte Miranda die Flammen, die seine lumpige Kleidung erfasst hatten, und nahm ihn mit nach Hause, wo sie ihn in kühle Stoffe hüllte, getränkt mit Milch, die sie zuvor auf dem Markt geklaut hatte.
Von diesem Tag an verfügte Miranda über einen Partner. Billy war es, der ihr das richtige Auftreten beibrachte, wie man vorgab, ein ehrlicher Kunde zu sein, wie sie ihre Schönheit einsetzen sollte, um den Verkäufer abzulenken, während Billy seine Waren klaute. Es waren die schrecklichsten Tage ihres Lebens gewesen.
Trotzdem waren sie so etwas wie Freunde geworden. Er brachte ihr mehr bei, als eine anständige Dame sich vorstellen konnte. Und als er auf frischer Tat erwischt wurde, hielt er den Mund und verpfiff sie nicht, sondern saß seine Strafe ab. Zwar war er nicht mehr ihr Partner, doch eine unschätzbare Quelle, wenn sie Informationen brauchte. Und die brauchte sie jetzt. Jeder Stein musste umgedreht werden.
Das Feuer in der Gosse flackerte noch einmal auf und verlosch. Die Menge setzte sich wieder in Bewegung. Ein vereinzeltes nervöses Lachen war der einzige Hinweis, dass kurz zuvor etwas Ungewöhnliches vorgefallen war.
»Was hältst du davon?« Miranda reichte ihm Archers Münze. Er drehte sie in seinen Wurstfingern, und sie erhaschte einen Blick auf die straffe, schimmernde Haut, die sich über seinem linken Handgelenk spannte. Narben, die ihm den geschätzten neuen Spitznamen Burnt Bill eingetragen hatten. Jedes Gefühl wich aus ihren Fingern.
»Das ist aber ’ne komische Münze. Suchst wohl ’n bisschen nach Blüten, hm? Ich kenn da ’n paar …«
»Nein«, sagte sie. »Ich brauche kein Falschgeld.« Die Vorstellung war lächerlich. »Ich dachte, das könnte so etwas wie eine Eintrittskarte zu einer bestimmten Adresse sein.«
»Ja, könnte sein. Ich hab schon gehört, dass irgendwelche schnieken Kerle so ’nen Müll für ihre kleinen geschlossenen Gesellschaften benutzen.« Billys breite Nase, die einen Höcker hatte, weil sie ihm so häufig gebrochen worden war, zuckte. »Ziemlich stümperhaft, wenn du mich fragst.«
Fast hätte sie gelächelt. Denn sollte Billy merken, dass er sie zum Lachen gebracht hatte, würde er mit den Späßen gar nicht mehr aufhören. »Es war nur so ein Gedanke«, meinte sie mit einem Achselzucken. Die entmutigende Vorstellung, dass sie sich vielleicht vergeblich bemühte, ließ sie innerlich brennen.
Billy rückte näher. Das Gelächter der Straßendirnen schien lauter zu werden, ging dann aber im Lärm der West Street wieder unter. »Hierbei geht es doch nicht um die Morde an den Aristokraten, oder? Ich hab gehört, dein neuer Kerl ist darin verwickelt.
Lord
Archer, nicht wahr?«
Vor Schreck fing es hinter ihren Schläfen zu pochen an. »Woher weißt du das?«
Er wippte auf den Absätzen und griff nach den grün-gelben Aufschlägen seines Gehrocks. Solche
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