Kuss des Feuers
Kleidung sollte wirklich verboten werden. »Ich sitz schließlich nicht auf den Ohren. Ich hab gehört, du bist an einen Lord Archer verschachert worden. Ein ziemlich schlauer Zeitgenosse, wenn man den Zeitungen glauben kann.« Er durchbohrte sie mit seinem scharfen Blick. »Was hast du überhaupt mit solchen Leuten zu tun?«
»Ich hatte ja keine Ahnung, dass du liest«, erklärte sie ehrlich überrascht.
Er zog die Augenbrauen hoch. »Natürlich lese ich nicht. Meg ist diejenige, die’s mit dem Lernen hat. Normalerweise hör ich nicht zu, aber dann kam das hier …« Er griff in die Innentasche seines Rocks und zog ein gefaltetes Stück Zeitungspapier heraus.
Die Ecken eingerissen und an einer Stelle mit einem Fettfleck versehen, doch sorgfältig in Wachspapier eingeschlagen, damit es nicht noch mehr Schaden nahm. Mit zitternden Fingern faltete sie das Papier auseinander. In dem Artikel, der Archer als wichtige Person im Zusammenhang mit den Morden an den Aristokraten bezeichnete, tauchte auch Miranda kurz auf. Sie wurde als Archers geheimnisvolle, exotische junge Braut beschrieben. Der Zeichner hatte sie mit einem ziemlich spöttischen Grienen auf den Lippen dargestellt, sie ansonsten aber recht gut getroffen.
Billy beugte sich über den Zeitungsartikel, sodass ihr wieder ein üppiger Hauch von Zwiebelduft in die Nase stieg. »Ein ziemlich nettes Bildchen, wenn ich das so sagen darf.«
»Ziemlich«, krächzte sie. Derlei Artikel störten sie längst nicht mehr. Aber Billy trug immer ein Bild von ihr bei sich. Mit aller Macht stiegen Schuldgefühle in ihr auf. Ein Jahr lang hatte sie noch nicht einmal einen Gedanken an ihn verschwendet.
Sie achtete darauf, ihn nicht anzusehen, als sie ihm die Zeichnung zurückgab. »Hast du je vom
West Club
gehört? Oder vom
Moon Club
?«
Billy schüttelte den Kopf. »Der einzige Club, den wir hier haben, ist der
Heaven and Hell
.« Er deutete mit dem Daumen auf ein Gebäude, das drei Häuser weiter die Straße runter lag. Die Türen standen weit offen, um den steten Strom Londoner Müßiggänger und Ganoven nicht zu behindern, die ein und aus gingen. Auf dem kleinen Schild über der Tür stand HEAVEN . Außerdem waren zwei Engelsflügel und ein blauer Pfeil, der nach oben zeigte, zu sehen. Darunter prangte das Wort HELL . Die rote Heugabel daneben zeigte nach unten.
»Wenn man scharf auf ’ne Balgerei mit ’ner Puppe ist, geht man in den Himmel.«
Sie senkte den Kopf, als mehrere Gentlemen aus einer eben eingetroffenen Kutsche stiegen. Ein paar von ihnen kamen ihr irgendwie bekannt vor und zählten zweifellos zu jenen, die die gleichen Veranstaltungen besuchten wie sie. »Und was macht man in der Hölle?«, fragte sie, während sie die Männer unter der Hutkrempe hervor beobachtete.
»In der Hölle geht es ein bisschen düsterer zu. Da gibt’s dies und das …« Seine Augen funkelten verschmitzt, während er Archers Münze geschickt hochschnipste und wieder auffing. »Haste Lust, mal ’nen Blick zu werfen?«
»Danke schön, nein.« Sie griff die Münze aus der Luft. »Gibt es in London vielleicht eine Moon Street?«
»Nicht dass ich wüsste.« Er kratzte sich unter seinem Hut, sodass der noch schiefer auf seinem Kopf saß. »Schau mal, wenn irgendwer von diesem
West Moon Club
gehört hat, werde ich ihn finden. Okay?«
»Danke dir, Billy.« Sie reichte ihm ein Bündel Banknoten.
»Behalt deine Kröten.« Er schob ihre Hand weg. »So läuft das nicht zwischen uns.« Entsetzt sah sie, wie seine Wangen erröteten. Beide wandten verlegen den Blick ab, und sie bemerkte einen älteren Mann, der in ihre Richtung kam. Er strahlte eine Präsenz aus, die in der ganzen West Street zu spüren war.
Der Mann war nicht sonderlich groß und reichte Miranda wahrscheinlich nur bis zur Schulter. Er trug einen schlichten schwarzen Anzug unter seinem dicken dunklen Umhang, doch die Menge wich mit einer Beflissenheit vor ihm zurück, die Ärger ankündigte. Als Billy in dieselbe Richtung sah, wurde er blass. Er wollte schon nach ihrem Ellbogen greifen, hielt sich dann aber zurück, weil er mit dieser Geste offenbart hätte, dass sie eine Frau war.
»Komm. Wir machen uns rar.« Er behielt eine lässige Haltung bei. Doch all seine Sinne waren auf den Mann gerichtet, obwohl er ihn nicht mehr ansah.
»Wer ist das?«, fragte sie leise, während sie auf eine kleine Gasse zugingen.
»Black Tom. Er ist der Besitzer vom
Dial’s
. Er weiß, wer hierher gehört und wer nicht. Er ist nicht
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