Kuss des Tigers - Eine unsterbliche Liebe
was dir spontan einfällt.«
Er läutete die kleine Glocke dreimal. Ihr hell tönendes Klingeln hallte von den Wänden des Tempels wider.
Mit lauter, klarer Stimme sagte Ren: »Durga, wir sind gekommen, um deinen Segen für unsere Suche zu erbitten. Unser Glaube ist schwach und schlicht. Unsere Aufgabe kompliziert und rätselhaft. Bitte hilf uns, Erkenntnis und Stärke zu finden.«
Er sah mich an. Ich schluckte, fuhr mit der Zunge über meine trockenen Lippen und fügte hinzu: »Bitte hilf diesen beiden indischen Prinzen. Lass ihnen das wieder zuteilwerden, was ihnen genommen wurde. Hilf mir, stark und weise genug zu sein, um alles Notwendige zu tun. Die zwei verdienen die Chance auf ein neues Leben.«
Ich packte Rens Hand und wir warteten.
Eine Minute verstrich, dann noch eine. Nichts geschah. Ren umarmte mich kurz und flüsterte, dass er sich nun in den Tiger zurückverwandeln müsse. Ich küsste ihn auf die Wange, und in der Sekunde, in der er wieder ein Tiger war, vibrierte der Raum, und die Wände erzitterten. Ein dröhnender Donner hallte durch den Tempel, gefolgt von mehreren weißen Lichtblitzen.
Ein Erdbeben! Wir werden beide lebendig begraben!
Felsgeröll und Steine prasselten von oben herab und eine der großen Säulen barst. Ich stürzte zu Boden. Ren sprang herbei und schützte mich mit seinem Körper vor herabfallenden Trümmern.
Allmählich ließ das Beben nach und das Grollen verhallte. Ren bewegte sich von mir fort, als ich mich langsam und taumelnd aufrichtete. Erstaunt blickte ich auf die Statue. Ein Teil der Steinwand seitlich von ihr war abgebröckelt und auf dem Boden in tausend Stücke zersplittert.
An der Wand, wo der Stein gewesen war, befand sich nun ein Handabdruck. Ich ging näher, und Ren knurrte leise. Mit dem Finger fuhr ich den Handabdruck nach und blickte zu Ren. Ich nahm all meinen Mut zusammen, hob die Hand und legte sie in die Einkerbung. Wie in der Kanheri-Höhle wurde der Stein heiß. Meine Haut leuchtete, als würde jemand eine Taschenlampe darunterhalten. Fasziniert starrte ich auf die blauen Venen, die auf meiner durchscheinenden Haut erschienen. Phets Hennazeichnung erwachte zum Leben und leuchtete glutrot. Knisternde Funken sprangen aus meinen kribbelnden Fingern. Ich hörte das Knurren eines Tigers, aber es war nicht Ren. Es war Damon, Durgas Tiger!
Die Augen des Tigers funkelten gelb. Die Figur verwandelte sich von hartem Stein zu Fleisch und Blut und orangefarbenem und schwarzem Fell. Der Tiger bleckte die Zähne und fauchte Ren an. Ren wich einen Schritt zurück und fauchte, wobei sich ihm das Fell um den Hals sträubte. Mit einem Schlag hörte der andere Tiger auf, setzte sich und wandte das Gesicht Durga zu.
Ich nahm die Hand aus dem Abdruck und bewegte mich behutsam weg. Ganz langsam ging ich einen Schritt nach dem anderen rückwärts, bis ich hinter Ren stand. Eisige Kälte schoss meine Wirbelsäule hinab und ich zitterte vor Angst. Die starre Statue begann zu atmen und der helle, austerngraue Stein schmolz zu lebendigem Fleisch.
Die Göttin Durga war eine wunderschöne Inderin mit goldfarbener Haut. Gekleidet in ein blaues Seidengewand, rührte sie sich, und ich hörte das Rascheln des Stoffes, als er um ihren anmutigen Körper glitt. Juwelen schmückten ihre Arme, funkelten und glitzerten, ihr Widerschein in jeder Farbe des Regenbogens erfüllte tanzend den Tempel, wenn sie sich bewegte. Ich sog die Luft ein und hielt den Atem an, als sie die Augen öffnete und ihre acht Arme sinken ließ. Durga verschränkte zwei Paar vor der Brust und neigte den Kopf, während sie uns betrachtete.
Ren kam näher und strich mit seiner Flanke gegen mein Bein. Seine Berührung beruhigte mich und ich war dankbar für seine Gelassenheit. Ich legte die Hand auf seinen Rücken und spürte, wie sich seine Muskeln unter meiner Handfläche anspannten. Er war sprungbereit, hätte sie angegriffen, wäre es nötig gewesen.
Eine Weile musterten wir vier einander stumm. Durga schien besonders großes Interesse an meiner Hand zu haben, die Rens Rücken streichelte. Schließlich hob sie zu sprechen an. Einer ihrer goldenen Arme hob sich und zeigte auf uns. »Willkommen in meinem Tempel, Tochter.«
Ich wollte sie fragen, warum ich ihre Auserwählte war und warum sie mich Tochter nannte, war ich doch noch nicht einmal eine Inderin. Phet hatte dasselbe gesagt, und das alles war noch immer ein Rätsel für mich, doch ich spürte, dass ich besser den Mund halten sollte.
Sie deutete auf
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