Kuss des Tigers - Eine unsterbliche Liebe
nehmen die Leute die Sache selbst in die Hand.«
Dann bedeutete mir Mr. Davis, ihm zu folgen. Wir gingen um das Gebäude herum zu einer großen Scheune, die weiß gestrichen war und blaue Verzierungen hatte. Er öffnete die breiten Türen und wir traten ein.
Sonnenlicht sickerte herein, erwärmte den Raum und ließ die in der Luft schwebenden Staubkörner flimmern. Ich war überrascht, wie viel Licht in das zweistöckige Gebäude fiel, obwohl es nur zwei hohe Fenster gab. Breite Balken ragten in die Höhe. Die Wände waren von leeren Ställen gesäumt, in denen Heuballen bis zur Decke gestapelt waren. Ich folgte Matts Vater zu dem wunderschönen Tierwagen, der am Vortag Teil der Vorstellung gewesen war.
Mr. Davis holte einen großen Behälter mit Flüssigvitaminen und sagte: »Kelsey, darf ich dir Dhiren vorstellen?«
Wir näherten uns dem Käfig. Der Tiger, der eben noch gedöst hatte, hob den Kopf und betrachtete mich neugierig mit leuchtend blauen Augen.
Diese Augen! Sie sind hypnotisierend. Sie scheinen geradewegs in meine Seele zu blicken.
Eine Welle der Einsamkeit überrollte mich, doch ich versuchte mit aller Gewalt, sie in den winzigen Teil von mir zu verbannen, in dem ich solche Gefühle aufbewahrte. Ich schluckte hart und brach den Augenkontakt ab.
Mr. Davis legte einen Hebel um. Eine Gitterwand glitt herab und trennte einen Teil des Käfigs in der Nähe der Tür von Dhiren ab. Mr. Davis öffnete die Käfigtür, füllte die Wasserschale des Tigers, gab ungefähr einen Viertelbecher Flüssigvitamine hinzu, schloss die Tür und verriegelte sie. Dann schob er den Hebel zurück, damit die Gitterwand im Käfig wieder hochgezogen wurde.
»Ich muss ein bisschen Papierkram erledigen. In der Zwischenzeit könntest du dem Tiger sein Frühstück holen«, wies mich Mr. Davis an. »Nimm den roten Wagen mit, um das Fleisch hierherzutransportieren, geh zurück ins Hauptgebäude, zu den Kisten. Dahinter steht ein großer Kühlschrank. Du holst ein Päckchen heraus und legst ein anderes aus dem Gefrierfach zum Auftauen in den Kühlschrank. Wenn du zurückkommst, gibst du das Essen in Dhirens Käfig, und zwar genau so, wie ich es mit den Vitaminen getan habe. Zuerst musst du immer auf jeden Fall das Sicherheitsgitter schließen. Schaffst du das?«
Ich packte den Hebel am Käfig. »Kein Problem«, sagte ich über die Schulter und war schon auf dem Weg zur Tür. Mühelos fand ich das Fleisch und kehrte wenige Minuten später zurück.
Ich hoffe, die Sicherheitstür hält, denn andernfalls bin ich das Frühstück. Ich legte den Hebel um, gab das rohe Fleisch in eine große Schüssel und schob es vorsichtig in den Käfig. Ich ließ den Tiger nicht aus den Augen, doch der saß nur seelenruhig da und betrachtete mich.
»Mr. Davis, ist das eigentlich ein weiblicher oder ein männlicher Tiger?«
Ein Geräusch drang aus dem Käfig, ein tiefes Grollen aus der Brust des Tigers.
Ich drehte mich um und sah den Tiger an. »Warum knurrst du mich an?«
Matts Vater lachte. »Ach, du hast ihn beleidigt. Er ist nämlich sehr empfindlich. Und um deine Frage zu beantworten, er ist ein männlicher Tiger.«
»Hmm.«
Nachdem der Tiger gefressen hatte, durfte ich ihm beim Üben seiner Zirkusnummer zuschauen. Wir schlossen die Türen der Scheune und schoben den Holzbalken vor, um sie fest zu versperren, damit der Tiger auf keinen Fall entwischen konnte. Dann kletterte ich die Leiter zum Heuboden hinauf, um von oben zuzusehen. Falls irgendetwas schiefging, so hatte mich Mr. Davis angewiesen, sollte ich aus dem Fenster klettern und Mr. Maurizio holen.
Matts Vater ging zum Käfig, öffnete die Tür und rief Dhiren zu sich. Die Katze sah ihn an und legte dann, immer noch schläfrig, den Kopf zurück auf die Pfoten. Mr. Davis rief ein weiteres Mal: »Komm!«
Das Maul des Tigers öffnete sich zu einem gewaltigen Gähnen. Bei dem Anblick seiner riesigen Zähne schauderte ich. Jetzt stand er widerwillig auf, streckte die Vorder- und dann die Hinterbeine, eines nach dem anderen. Ich kicherte in mich hinein, dieses große Raubtier sah aber auch wirklich aus wie eine schläfrige Hauskatze. Der Tiger drehte sich um und trottete die Rampe hinunter und aus dem Käfig hinaus.
Mr. Davis stellte einen Hocker auf und ließ die Peitsche knallen, als Aufforderung für Dhiren, mit einem Satz auf dem Schemel zu landen. Er holte den Reifen und ließ den Tiger mehrere Minuten hindurchspringen. Er sprang hin und zurück, meisterte die verschiedenen Übungen
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