Kuss des Tigers - Eine unsterbliche Liebe
die Wärme, während mein Haar trocknete. Dieser Ort war ein Paradies, daran bestand kein Zweifel. Selbst mit einer Beule am Kopf und meiner Abneigung gegen Camping wusste ich die Schönheit meiner Umgebung zu schätzen.
Es war ja auch nicht so, dass ich die Natur nicht mochte. Ganz im Gegenteil, in meiner Kindheit hatte ich gerne Zeit mit meiner Familie draußen verbracht. Ich schlief nur eben gerne in meinem eigenen Bett, nachdem ich die Natur gewürdigt hatte.
Ren kehrte am Mittag zurück und saß gut gelaunt neben mir, während wir aßen. Es war das erste Mal, dass ich ihn in Menschengestalt essen sah, einmal abgesehen von der Mango. Anschließend wühlte ich in meiner Tasche nach meinem Gedichtband. Ich fragte Ren, ob ich ihm vorlesen sollte.
Er hatte sich in den Tiger zurückverwandelt, und da ich weder ein Knurren noch sonst eine Art von Tigerprotest hörte, schnappte ich mir meinen Gedichtband und lehnte mich gegen einen großen Stein. Er trottete herbei und verwandelte sich überraschend in einen Mann. Er drehte sich auf den Rücken und legte mir den Kopf in den Schoß, bevor ich auch nur den Mund aufmachen konnte. Dann seufzte er tief und schloss die Augen.
Ich lachte. »Das ist wohl ein Ja?«
Mit geschlossenen Augen murmelte er: »Ja, bitte.«
Ich blätterte in meinem Buch, um ein Gedicht auszusuchen. »Ah, dieses hier scheint zu passen. Ich denke, das wird dir gefallen. Es ist eines meiner Lieblingsgedichte und auch von Shakespeare geschrieben, demselben Kerl, der Romeo und Julia verfasst hat.«
Ich begann zu lesen und hielt das Buch mit einer Hand, während ich mit der anderen gedankenverloren durch Rens Haar strich.
Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?
Anmutiger, gemäßigter bist du.
Des Maies Lieblinge jagt Sturmwind von den Zweigen,
Und nur zu früh gehn Sommers Pforten zu.
Bald scheint zu heiß des Himmels Auge, bald
Umdunkelt sich sein goldner Kreis; es weilet
Das Schöne nie in seiner Wohlgestalt,
Vom Zufall, vom Naturlauf übereilet.
Du aber sollst in ewgem Sommer blühn,
Nie deiner Schönheit Eigentum veralten;
Nie soll dich Tod in seine Schatten ziehn,
Wenn ewge Zeilen dich der Zeit erhalten.
Solange Menschen atmen, Augen sehn,
So lang lebt dies, und heißt dich fortbestehn.
Seine Stimme war sanft. »Das war … ausgezeichnet. Mir gefällt dieser Shakespeare.«
»Mir auch.«
Auf der Suche nach einem weiteren Gedicht blätterte ich in meinem Lyrikbändchen, als Ren sagte: »Kelsey, vielleicht darf ich … dir … ein Gedicht meines Landes vortragen.«
Überrascht legte ich mein Buch beiseite. »Natürlich, ich fände es toll, ein indisches Gedicht zu hören.«
Er schlug die Augen auf und blickte in die Bäume über unseren Köpfen. Meine Hand in seine nehmend, verschränkte er unsere Finger und legte sie auf seine Brust. Eine leichte Brise umwehte uns, ließ die Blätter in der Sonne tänzeln, und tauchte Rens Gesicht in ein Geflecht aus Schatten und Licht.
»Es ist älter, als du dir vorstellen kannst, und stammt aus dem Drama Shakuntala von Kalidasa.«
Kenn’ ich dein Herz, grausamer Mann?
Mein Herz, das sich vor dir nicht retten kann,
lodert vor Liebe Tag und Nacht.
Du zartes Wesen, in dir lodert Leidenschaft,
mich aber zehrt sie auf.
Verblasst der Lotos
im Tageslicht – der Mond
verlischt.
Du wohnst in meinem Herzen,
bist sein höchstes Ziel.
Wenn du, Bezaubernde,
nun andere Gedanken hegst,
dann schlägst du
einen wunden Mann.
»Ren, das war sehr schön.«
Sein Blick strich über mein Gesicht. Lächelnd streckte er die Hand aus, um meine Wange zu berühren. Mein Puls raste, und mein Gesicht schien an der Stelle zu glühen, die er berührte. Mit einem Schlag wurde mir bewusst, dass meine Finger immer noch sein Haar zerwühlten und meine Hand auf seiner Brust lag. Hastig zog ich sie weg und verschränkte sie in meinem Schoß. Er setzte sich leicht auf und lehnte sich auf eine Hand, was sein wunderschönes Gesicht sehr nahe an meines brachte. Seine Finger bewegten sich hinab zu meinem Kinn, und unglaublich sanft neigte er mein Gesicht, sodass meine Augen in seine leuchtend blauen blickten.
»Kelsey?«
»Ja?«, flüsterte ich.
»Ich bitte um die Erlaubnis … dich küssen zu dürfen.«
Hoppla. Alarmstufe rot! Das angenehme Gefühl, das ich noch vor wenigen Minuten bei meinem Tiger verspürt hatte, war wie weggewischt. Ich wurde schrecklich nervös und gereizt. Meine Sichtweise drehte sich um hundertachtzig Grad. Ich hatte natürlich gewusst,
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