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Kuss im Morgenrot: Roman

Kuss im Morgenrot: Roman

Titel: Kuss im Morgenrot: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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erforderlich gewesen waren. Ein weiteres Grüppchen betrat die Loge und wartete, bis sie an der Reihe waren, Harry zu begrüßen. Catherine trat zurück, um ihnen Platz zu machen. Sie stand an der hinteren Logenwand und wartete mit erzwungener Geduld, während die Unterhaltung in den Korridoren und den Logen munter dahinplätscherte. Auch der Lärm, der aus dem Parkett zu ihnen heraufdrang, war nicht zu verachten. Der unablässige Geräuschpegel reizte ihre Nerven. Im Theater war es stickig, und die Wärme, die von der Menschenmasse ausging, sammelte sich in der Luft. Sie hoffte, die Pause würde bald vorbei sein.
    Sie hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt, als sie spürte, wie jemand durch die Logenvorhänge griff und sie am Handgelenk packte. Der Körper eines Mannes presste sich von hinten an ihren. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie sich fragte, welches Spielchen Leo im Sinn hatte.
    Doch die Stimme an ihrem Ohr war nicht Leos. Es war eine Stimme aus ihren Albträumen.
    »Wie hübsch du in diesen feinen Kleidern aussiehst, mein Täubchen!«

Fünfundzwanzigstes Kapitel
    Catherine versteifte sich, ihre Hand ballte sich zu einer Faust, doch sie konnte ihren Arm nicht aus Lord Latimers Griff befreien. Er verdrehte ihr das behandschuhte Handgelenk so, dass sie gezwungen war, es einen oder zwei Zentimeter anzuheben, und sprach mit einem sanften Unterton weiter.
    Zu verblüfft und versteinert, hörte Catherine zunächst nichts außer ihrem eigenen rasenden Herzschlag. Die Zeit schien zu flackern, geriet ins Stocken und bewegte sich dann im Schneckentempo weiter vorwärts. »… so viele Fragen über dich …«, hörte sie ihn sagen. Seine Stimme war voller Verachtung. »Alle wollen mehr wissen über Rutledges geheimnisvolle Schwester … ist sie liebreizend oder hässlich? Gebildet oder vulgär? Wohlhabend oder mittellos? Vielleicht sollte ich die Antworten liefern. ›Sie ist eine Schönheit‹, werde ich meinen neugierigen Freunden erzählen, ›ausgebildet von einer berüchtigten Zuhälterin. Sie ist eine Heuchlerin. Und vor allem anderen ist sie eine Hure.‹«
    Catherine schwieg und atmete durch die Nase. Sie konnte sich bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt als Harrys Schwester keine Szene leisten. Jeder Konflikt mit Lord Latimer würde ihre frühere Verbindung ans Licht bringen und ihren gesellschaftlichen Ruin schneller als erwartet herbeiführen.
    »Warum erklärst nicht auch gleich«, flüsterte sie, »dass du ein widerlicher Lüstling bist, der versucht hat, ein fünfzehnjähriges Mädchen zu vergewaltigen?«
    »Tss, tss! Du solltest es besser wissen, Catherine. Ein Mann wird nie für seine Leidenschaften verantwortlich gemacht, so pervers sie auch sein mögen. Die Frau ist schuld, weil sie sie in ihm erweckt. Du wirst nicht weit kommen, indem du Mitgefühl heischst. Die Öffentlichkeit verabscheut Frauen in der Opferrolle, insbesondere so reizvolle und verführerische wie dich.«
    »Lord Ramsay wird …«
    »Ramsay wird dich benutzen und anschließend wegwerfen, wie er es mit allen Frauen tut. Du bist doch gewiss nicht so eitel oder dumm zu glauben, dass du anders bist als die anderen.«
    »Was willst du von mir?«, fragte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen.
    »Das, wofür ich vor all den Jahren bezahlt habe«, erwiderte er leise. »Und ich werde es bekommen. Es gibt keine andere Zukunft für dich, meine Liebe. Du warst nie für ein anständiges Leben bestimmt. Spätestens wenn man dich in der Gerüchteküche zerfleischt hat, wirst du nirgends mehr willkommen sein.«
    Ihr Handgelenk wurde freigegeben, und ihr Peiniger verschwand wieder.
    Niedergeschlagen taumelte Catherine zu ihrem Stuhl und ließ sich darauf fallen. Sie gab sich alle Mühe, sich nichts anmerken zu lassen und starrte geradeaus, ohne wirklich etwas wahrzunehmen, während der Lärm des Theaters von allen Seiten auf sie einströmte. Sie versuchte ihre Angst objektiv zu prüfen und sie einzugrenzen. Tatsächlich war es gar nicht so, dass sie Angst vor Latimer hatte. Sie verabscheute ihn, aber er stellte sicherlich nicht mehr die Bedrohung dar, die er einmal für sie gewesen war. Heute war sie vermögend genug, um so zu leben, wie sie es wünschte. Und sie hatte Harry und Poppy und die Hathaways.
    Doch Latimer hatte ihre berechtigten Sorgen mit grausamer Schärfe auf den Punkt gebracht. Man konnte sich gegen einen Mann zur Wehr setzen, aber nicht gegen ein Gerücht. Man konnte die Vergangenheit abstreiten, aber die

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