Kuss im Morgenrot: Roman
würde nicht so leicht von der Nase fallen.“
»Stellt das ein Problem dar? Dass die Brille auf der Nase bleibt?«
»Ohne Frage«, erwiderte Leo. »Sie ist eine sehr aktive Frau. Sie jagt Tiere, stürzt durch Hausdächer, stapelt Steinhaufen auf – und das alles an einem ganz normalen Tag.«
»Mylord«, empörte sich Catherine.
Schaeffer lächelte, während er den verbogenen Rahmen ihrer Brille untersuchte. »Nach dem Zustand Ihrer Brille zu urteilen, könnte man Lord Ramsays Behauptung beinahe Glauben schenken.« Sein Schnurrbart wölbte sich nach oben. »Mit Ihrer Erlaubnis, Mylord, werde ich den Juwelier, mit dem ich zusammenarbeite, bitten, den Rahmen zu bauen, den Sie gezeichnet haben.«
»Fertigen Sie ihn aus Silber«, bat Leo. Er hielt inne und betrachtete Catherine mit einem matten Lächeln. »Und verzieren Sie die Ohrbügel mit Filigran. Nichts Vulgäres … halten Sie es dezent.«
Catherine schüttelte umgehend den Kopf. »So eine Verzierung ist teuer und unnötig.«
»Machen Sie es trotzdem«, sagte Leo dem Doktor und hielt Catherines Blick stand. »Dein Gesicht verdient es, geschmückt zu werden. Ich würde doch ein Meisterwerk wohl kaum in einen gewöhnlichen Rahmen stecken, was meinst du?«
Sie funkelte ihn tadelnd an. Weder mochte sie derartige Schmeicheleien, noch traute sie ihnen über den Weg, und am allerwenigsten hatte sie vor, Leos Charme zu verfallen. Doch Leo warf ihr einen reulosen Blick zu. Und wie er so dasaß und sie mit seinen verschmitzten blauen Augen ansah, verspürte sie einen schmerzhaften Stich im Herzen, gefolgt von dem Gefühl, aus dem Gleichgewicht zu geraten. Der Abgrund unter ihr war unermesslich … und doch schien sie vor der Gefahr nicht zurückzuschrecken.
Sie konnte nicht anders, als mit ihrem gestörten Gleichgewicht dort sitzen zu bleiben … wie gelähmt vor Verlangen und drohender Gefahr … nicht imstande, sich selbst zu schützen.
Vierundzwanzigstes Kapitel
Der Hotelier Mr. Harry Rutledge hat eine Frau namens Miss Catherine Marks, die bis zum heutigen Tag in relativer Unbekanntheit bei der Familie des Viscount Ramsay von Hampshire gelebt hat, als seine Halbschwester bestätigt. Auf die Frage hin, warum die junge Frau nicht eher in die Gesellschaft eingeführt wurde, erklärte Mr. Rutledge die Diskretion für angemessen angesichts der Umstände ihrer Herkunft als uneheliches Kind von Mr. Rutledges Mutter und einem ungenannten Gentleman. Mr. Rutledge betonte ferner das anständige und kultivierte Naturell seiner Schwester, sowie seinen ganz besonderen Stolz, die Verwandtschaft mit einer Frau anzuerkennen, die er in jeder Hinsicht als schätzenswert beschreibt.
»Wie überaus schmeichelhaft!«, sagte Catherine matt und legte die Times beiseite. Sie warf Harry über den Frühstückstisch einen kläglichen Blick zu. »Und jetzt werden die Fragen kommen.«
»Ich übernehme das«, erwiderte Harry. »Deine Aufgabe ist es lediglich, dich in der erwähnten anständigen und kultivierten Weise zu verhalten, wenn Poppy und ich dich ins Theater ausführen.«
»Wann gehen wir ins Theater?«, wollte Poppy wissen, während sie sich den letzten Rest eines mit Honig getränkten Brötchens in den Mund steckte.
»Morgen Abend, wenn dir das recht ist.«
Catherine nickte und versuchte nicht allzu besorgt auszusehen, während sie sich das Szenario ausmalte. Die Leute würden sie anstarren und hinter ihrem Rücken tuscheln. Einerseits schreckte sie vor der Vorstellung zurück, sich in aller Öffentlichkeit zu zeigen. Andererseits würden sie ein Theater besuchen, und die Aufmerksamkeit des Publikums würde sich hauptsächlich auf das Geschehen auf der Bühne richten.
»Sollen wir Leo dazu einladen?«, fragte Poppy. Harrys und ihr Blick waren auf Catherine gerichtet.
Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern, obwohl sie den Verdacht hatte, dass sich die beiden davon nicht würden täuschen lassen.
»Hättest du etwas dagegen?«, erkundigte sich Harry.
»Nein, natürlich nicht. Er ist Poppys Bruder und mein ehemaliger Arbeitgeber.«
»Und möglicherweise dein Verlobter«, murmelte Harry.
Catherine warf ihm einen flüchtigen Blick zu. »Ich habe seinen Antrag nicht angenommen.«
»Aber du trägst dich mit dem Gedanken … hab ich recht?«
Ihr Herz begann wie wild zu klopfen. »Ich weiß es nicht.«
»Cat, ich möchte dich wirklich nicht bedrängen, aber wie lange gedenkst du, Ramsay noch mit einer Antwort hinzuhalten?«
»Nicht lange.« Cat blickte stirnrunzelnd in
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