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Kuss im Morgenrot: Roman

Kuss im Morgenrot: Roman

Titel: Kuss im Morgenrot: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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eindringlich an. »Es wäre besser, wenn ihr bleiben und euch den Rest des Stücks ansehen würdet. Und wenn sich jemand nach Marks erkundigt, denk dir was aus. Ein Anfall von Schwermut oder so.«
    »Bloß nicht! Keine Schwermut bitte«, erwiderte Catherine scharf.
    »Dann sag einfach, ich hätte den Anfall«, schlug Leo Harry vor.
    Das schien Catherine aus ihrer Betäubung zu wecken. Leo war erleichtert, etwas von ihrer gewohnten Wesensart aufblitzen zu sehen, als sie sagte: »Männer können nicht von Schwermut befallen sein. Das ist eine weibliche Verfassung.«
    »Ich schon«, meinte Leo. »Ich könnte sogar ohnmächtig werden.« Er half ihr, von ihrem Stuhl aufzustehen.
    Harry stand ebenfalls auf und blickte besorgt in das Gesicht seiner Schwester. »Möchtest du das denn auch, Cat?«, fragte er.
    »Ja«, sagte sie, und ein Anflug von Ärger huschte über ihr Gesicht. »Wenn ich hierbleibe, wird er gleich noch Riechsalz für mich bestellen.«
    Leo führte Catherine nach draußen und winkte eine Droschke herbei. Es handelte sich um ein zweirädriges, halb geöffnetes Gefährt mit einem hohen Kutschersitz hinten. Über eine Klappe im Verdeck konnte man mit dem Kutscher sprechen.
    Als sich Catherine mit Leo der Droschke näherte, hatte sie das deutliche Gefühl, beobachtet zu werden. Aus Angst, Latimer könnte ihr gefolgt sein, blickte sie kurz nach links zu einem Mann, der neben dem gewaltigen Säulenvorbau des Theaters stand. Zu ihrer Erleichterung war es nicht Latimer, sondern ein junger Bursche. Er war hochgewachsen, knochig, mit einem schäbigen dunklen Anzug und einem zerlumpten Hut bekleidet und hatte alles in allem etwas von einer Vogelscheuche. Er besaß die für London typische unverwechselbare Blässe derer, die sich die meiste Zeit des Tages drinnen aufhielten und deren Haut noch nie mit einer Sonne in Berührung gekommen war, die nicht durch die verschmutzte Stadtluft gefiltert war. Seine Brauen wirkten in dem hageren Gesicht wie dicke schwarze Balken, und seine Haut wies einige tiefe Furchen auf, für die er noch viel zu jung war.
    Sein Blick war starr auf sie gerichtet.
    Catherine blieb zögernd stehen. Ein sonderbares Gefühl der Wiedererkennung beschlich sie. Hatte sie den Burschen schon einmal irgendwo gesehen? Sie kam nicht dahinter, wo sie ihm schon einmal hätte begegnet sein sollen.
    »Komm«, sagte Leo und wollte ihr in die Kutsche helfen.
    Aber Catherine widersetzte sich, wie hypnotisiert von den rabenschwarzen Augen, die sie weiterhin gebannt anstarrten.
    Leo folgte ihrem Blick. »Wer ist das?«
    Der junge Mann kam ein paar Schritte auf sie zu und lüftete den Hut, unter dem ein zottiger Haarschopf zum Vorschein kam. »Miss Catherine?«, sagte er unbeholfen.
    »William«, stieß sie überrascht hervor.
    »Ja, Miss.« Sein Mund kräuselte sich zu einem anfänglichen Lächeln. Zögernd trat er noch einen Schritt näher und verneigte sich ungelenk vor ihr.
    Leo stellte sich beschützend zwischen sie. »Wer ist er?«
    »Ich glaube, er ist der Junge, von dem ich dir erzählt habe … der für meine Großmutter gearbeitet hat.«
    »Der Laufbursche?«
    Catherine nickte. »Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich Harry um Hilfe bitten konnte … er hat ihm meinen Brief gebracht. Bitte lass mich kurz mit ihm sprechen.«
    Leos Ausdruck war unerbittlich. »Du wärst doch die Erste, die mir erzählt, dass sich eine Dame nicht auf offener Straße mit einem Mann unterhält.«
    »Jetzt auf einmal willst du die Etikette beherzigen?«, fragte sie gereizt. »Ich werde mit ihm sprechen.« Als sie die Ablehnung in seinem Gesicht sah, schlug sie einen sanfteren Ton an und berührte verstohlen seine Hand. »Bitte.«
    Leo gab nach. »Zwei Minuten«, murmelte er, aber man sah ihm an, dass es ihm eigentlich nicht recht war. Er blieb an ihrer Seite und starrte William mit seinen eisblauen Augen an.
    Sichtlich eingeschüchtert, gehorchte William Catherines einladender Geste, näher zu kommen. »Du bist ’ne richtige Dame geworden, Miss Catherine«, sagte er in seinem schweren Süd-Londoner Akzent. »Aber ich hab dich gleich erkannt – das Gesicht, und dieselbe kleine Brille. Ich hab immer gehofft, es geht dir gut.«
    »Du hast dich stärker verändert als ich, William«, stellte sie fest und versuchte zu lächeln. »Wie groß du geworden bist! Arbeitest du … immer noch für meine Großmutter?«
    Er schüttelte den Kopf und lächelte kläglich. »Sie ist vor zwei Jahren gestorben, Miss. Der Doktor sagt, ihr Herz hat

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