Kuss im Morgenrot: Roman
Geschäftsführer der zoologischen Gesellschaft von London getroffen, und wir haben den neuesten Pavillon besichtigt.«
»Wozu denn das?«, wollte Catherine wissen.
»Ein alter Freund von mir, mit dem ich bei Rowland Temple gelernt habe, ist auf Geheiß der Queen damit beauftragt worden, für den Zoo ein neues Gorillagehege zu entwerfen. Im Moment werden sie dort in kleinen Käfigen gehalten, reine Tierquälerei. Als sich mein Freund bei mir über die Schwierigkeit beklagte, einen ausreichend großen und sicheren, aber dennoch bezahlbaren Käfig zu entwerfen, habe ich ihm vorgeschlagen, einen Wassergraben zu bauen.«
»Einen Wassergraben?«, wiederholte Poppy erstaunt.
Leo lächelte. »Gorillas durchqueren keine tiefen Gewässer.«
»Woher wissen Sie denn das, Mylord?«, fragte Catherine belustigt. »Beatrix?«
»Natürlich.« Er blickte reumütig drein. »Und jetzt, nachdem ich den Vorschlag gemacht habe, sieht es so aus, als wollten sie mich als Berater einstellen.«
»Wenigstens wirst du diesmal, wenn sich deine Kunden beschweren«, warf Catherine ein, »nicht verstehen, was sie sagen.«
Leo unterdrückte ein Kichern. »Offenbar hast du noch nicht gesehen, was Gorillas durch die Luft werfen, wenn sie unzufrieden sind.« Sein Mund verzog sich. »Wie auch immer, ich würde meine Zeit lieber mit Primaten verbringen, als Miss Darvin und ihre Mutter zu besuchen.«
Das Theaterstück an jenem Abend war zwar sentimental, aber höchst unterhaltsam. Die Geschichte handelte von einem gut aussehenden russischen Bauern, der sich um eine Ausbildung bemühte. Doch am Tag seiner Hochzeit wurde die Braut, seine große Liebe, vom Prinzen des Herrschaftsgebiets angegriffen. Während das arme Mädchen ohnmächtig auf der Erde lag, wurde sie von einer Natter tödlich gebissen. Doch gelang es ihr noch, nach Hause zu reiten, bevor der Tod sie übermannte, und ihrem Verlobten zu berichten, was passiert war, woraufhin der schöne Bauer dem Prinzen Rache schwor. Seine diesbezüglichen Anstrengungen brachten ihn dazu, als Edelmann verkleidet in das königliche Schloss einzudringen, wo er zufällig einer Frau begegnete, die seiner verstorbenen Liebe zum Verwechseln ähnlich sah. Wie sich herausstellte, war die Frau eine Zwillingsschwester des ermordeten Bauernmädchens, und um alles noch ein wenig komplizierter zu machen, war sie in den ehrbaren Sohn des bösen Prinzen verliebt.
Dann war Pause.
Unglücklicherweise wurde Catherines und Poppys Freude an dem Stück von Harrys und Leos gedämpften Kommentaren beeinträchtigt, die es nicht lassen konnten, darauf hinzuweisen, dass sich die junge Frau in ihrem Todeskampf die falsche Körperseite hielt, und dass es überdies wenig wahrscheinlich war, dass eine an einer Vergiftung sterbende Person durch das ganze Staatsgebiet ritt, während sie poetische Liebeserklärungen ausstieß.
»Du hast keine Romantik in deiner Seele«, sagte Poppy in der Pause zu Harry.
»In meiner Seele nicht, nein«, erwiderte er ernst. »Aber ich habe eine ganze Menge davon an anderen Stellen.«
Sie lachte und griff an seine weiße Krawatte, um eine imaginäre Falte zu glätten. »Liebling, würdest du bitte jemanden veranlassen, uns Champagner in die Loge zu bringen? Catherine und ich sind durstig.«
»Ich werde welchen bestellen.« Leo stand auf und knöpfte seinen Mantel zu. »Nach anderthalb Stunden auf diesem lächerlich winzigen Stuhl muss ich mir ohnehin mal die Beine vertreten.« Er blickte zu Catherine hinunter. »Lust auf einen kleinen Spaziergang?«
Sie schüttelte den Kopf. Sie zog es vor, in dem begrenzten Raum der Theaterloge zu bleiben, wo sie sich sicherer fühlte als draußen unter all den Leuten. »Danke, aber ich fühle mich ganz wohl hier.«
Als Leo die Logenvorhänge öffnete, wurde offenkundig, dass die Korridore überfüllt waren. Zwei Gentlemen und eine Dame traten herein und begrüßten die Rutledges herzlich. Catherine verkrampfte sich innerlich, als Harry sie Lord und Lady Despencer und Lady Despencers Schwester, Mrs. Lisle, vorstellte. Sie hatte einen kühlen Empfang erwartet, vielleicht eine abschätzige Bemerkung, doch stattdessen waren sie ausgesprochen freundlich und leutselig. Vielleicht, dachte sie bitter, sollte sie wirklich aufhören, von den Leuten immer das Schlechteste anzunehmen.
Poppy erkundigte sich bei Lady Despencer nach einem ihrer Kinder, das kürzlich krank gewesen war, und die Frau listete alle Medikamente und Maßnahmen auf, die für die Heilung
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