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Kuss im Morgenrot: Roman

Kuss im Morgenrot: Roman

Titel: Kuss im Morgenrot: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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auf ihrem Kopf.
    »Alle Frauen verkaufen sich den Männern«, fuhr ihre Großmutter fort. »Die Ehe selbst ist eine Transaktion, bei der der Wert der Frau an Kopulations- und Zuchtzwecke gebunden ist. Wenigstens gehen wir mit unserem stundenweise entlohnten Beruf ehrlich damit um.« Ihr Ton wurde nachdenklich. »Männer sind unanständige, grausame Kreaturen. Aber sie beherrschen die Welt und werden es immer tun. Und das meiste bekommst du von ihnen, indem du dich in Unterwerfung übst. Du wirst sehr gut darin sein, Catherine. Ich habe den Instinkt in dir gesehen. Du magst es, wenn man dir sagt, was du tun sollst. Und du magst es noch lieber, wenn man dich dafür bezahlt.« Sie nahm die Hand von Catherines Kopf. »Und jetzt halte mich nicht länger auf. Du kannst Althea so viele Fragen stellen, wie du willst. Stell dir vor, als sie ihre Karriere begann, war sie nicht glücklicher darüber als du. Aber sie hat die Vorteile ihrer Situation sehr schnell erkannt. Nicht zuletzt müssen wir alle unseren Lebensunterhalt verdienen, nicht wahr? Sogar du, meine Liebe. Du hast hier keine Sonderrechte, nur weil du meine Enkeltochter bist. Und fünfzehn Minuten auf dem Rücken werden dir mehr einbringen, als andere Frauen in zwei ganzen Tagen verdienen. Bereitwillige Unterwerfung, Catherine.«
    Wie betäubt, so als wäre sie gerade aus großer Höhe irgendwo heruntergefallen, hatte Catherine das Arbeitszimmer ihrer Großmutter verlassen. Einen Augenblick lang verspürte sie den großen Drang, einfach wegzulaufen. Aber ohne einen Zufluchtsort und ohne Geld würde ein unbeaufsichtigtes Mädchen in London nur wenige Stunden überleben. Die eingesperrten Seufzer in ihrer Brust lösten sich in Schüttelfrost auf.
    Sie machte sich auf den Weg in ihr Zimmer. Aber dann schlug der Traum um, und die Erinnerungen verwandelten sich in düstere Launen ihrer Fantasie … in einen Albtraum. Die Treppenstufen schienen sich zu vervielfachen, der Aufstieg wurde beschwerlich, und sie ging in immer tiefere Schatten hinauf. Allein und vor Kälte zitternd, erreichte sie ihr Zimmer, das nur vom Mondlicht erleuchtet war.
    Ein Mann saß am Fenster. Tatsächlich saß er breitbeinig über dem Fensterstock, wobei ein Bein fest auf dem Boden stand, während das andere lässig nach draußen baumelte. Sie erkannte ihn an der Kopfform, an den Umrissen seiner kräftigen Gestalt. Und aus der Dunkelheit drang eine samtige Stimme zu ihr herüber, die ihr die Haare im Nacken aufstellte.
    »Da bist du ja. Komm her, Marks.«
    Catherine war von Erleichterung und Sehnsucht erfüllt. »Mylord, was machst du denn hier?«, rief sie und rannte zu ihm hin.
    »Ich warte auf dich.« Er schloss sie in die Arme. »Ich werde dich ganz weit von hier fortbringen – gefällt dir das?«
    »Oh, ja, ja … aber wie?«
    »Wir klettern gleich hier aus dem Fenster. Ich habe eine Leiter.«
    »Aber ist sie denn sicher? Meinst du, wir …«
    Er legte ihr sanft die Hand auf den Mund und beruhigte sie. »Vertrau mir.« Der Druck seiner Hand nahm zu. »Ich werde dich nicht fallen lassen.«
    Sie versuchte ihm mitzuteilen, dass sie mit ihm überallhin gehen würde, dass sie alles machen würde, was er von ihr verlangte, aber die Hand lag zu fest auf ihrem Mund, als dass sie etwas hätte sagen können. Sein Griff wurde schmerzhaft, wie eine Klammer hielt er ihr den Kiefer zusammen. Sie bekam kaum noch Luft.
    Dann öffnete sie die Augen. Der Albtraum verschwand, um eine weit schlimmere Wirklichkeit zu enthüllen. Sie wehrte sich unter einem entsetzlichen Gewicht und versuchte gegen die schwielige Hand anzuschreien, die ihr den Mund zuhielt.
    »Deine Tante will dich sehen«, erklang eine Stimme in der Dunkelheit. »Ich muss es tun, Miss. Ich habe keine andere Wahl.«
    Binnen weniger Minuten war es vollbracht.
    William knebelte sie mit einem Tuch, das ihr in den Mund schnitt, und ein großer Knoten drückte brutal gegen ihre Zunge. Nachdem er ihr Hände und Füße gefesselt hatte, schaltete er das Licht an. Sogar ohne Brille konnte sie erkennen, dass er den dunkelblauen Mantel der Mitarbeiteruniform des Rutledge Hotels trug.
    Wenn sie nur ein paar Worte herausbringen, ihn anflehen oder mit ihm verhandeln könnte, aber der verknotete Stoffklumpen machte jeden verständlichen Laut unmöglich. Ihr Speichel vermischte sich unangenehm mit dem ausgesprochen bitteren Geschmack des Knebels. Das Tuch war mit etwas getränkt, begriff sie, und im selben Augenblick spürte sie, wie ihr Bewusstsein in Stücke

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