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Kuss im Morgenrot: Roman

Kuss im Morgenrot: Roman

Titel: Kuss im Morgenrot: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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»Zeichnen kann ich nur jene Dinge besonders gut, die lange stillhalten. Gebäude. Laternenpfähle.« Er blätterte weiter im Buch. »Haben Sie auch eine von Beatrix‘ Zeichnungen?«
    »Auf der letzten Seite«, erwiderte Catherine. »Sie hatte angefangen, einen der Mauerreste dort drüben abzuzeichnen, aber dann wurde sie von einem Eichhörnchen abgelenkt, das ihr immer wieder ins Bild hüpfte.«
    Leo fand das vollendete, detailgetreue Porträt eines Eichhörnchens. Er schüttelte den Kopf. »Beatrix’ und ihre Tiere.«
    Sie mussten beide lächeln.
    »Viele Leute sprechen mit ihren Haustieren«, sagte Catherine.
    »Ja, aber nur wenige verstehen ihre Antworten.« Er klappte das Buch zu und gab es Catherine zurück. Dann begann er die Grenzen des Grundstücks abzuschreiten.
    Catherine folgte ihm, bahnte sich vorsichtig ihren Weg durch den von gelben Blüten und glänzenden schwarzen Schoten übersäten Stechginster. »Wie tief war wohl der ursprüngliche Wassergraben, was würden Sie schätzen?«
    »Ich würde sagen, kaum tiefer als zweieinhalb Meter.« Leo hob die Hand an die Stirn, um seine Augen zu beschirmen, und sah sich um. »Sie müssen einen der Flüsse umgeleitet haben, um den Graben zu füllen. Sehen Sie die Hügel dort drüben? Das waren die Stallungen und die Quartiere der Bediensteten, nehme ich an. Reine Lehmbauten.«
    »Woraus war das Gutshaus gebaut?«
    »Der zentrale Wohnbereich war ziemlich sicher aus Stein, und der Rest eine Kombination verschiedener Materialien. Darin drängten sich vermutlich Schafe, Ziegen, Hunde und die Leibeigenen.«
    »Kennen Sie die Geschichte des ursprünglichen Lehnsherrn?« Catherine setzte sich auf ein freiliegendes Mauerstück und ordnete ihre Röcke.
    »Sie meinen den ersten Viscount Ramsay?« Leo blieb am Rand der kreisförmigen Vertiefung stehen, der einst der Wassergraben gewesen war. Sein Blick wanderte über die zerklüftete Landschaft. »Er begann als Thomas of Blackmere, der vor allem für seine Gnadenlosigkeit bekannt war. Offenbar hatte er ein besonderes Talent für Plünderungen und Dorfbrände. Er galt als der rechte Arm von Eduard, dem schwarzen Prinzen. Gemeinsam haben sie erheblich zum Niedergang des mittelalterlichen Rittertums und den Beginn der neuzeitlichen Kriegsführung beigetragen.«
    Er warf einen Blick über die Schulter und musste lächeln, als er Catherines gerümpfte Nase sah. Sie saß aufrecht da wie ein Schulmädchen, das Skizzenbuch im Schoß. Er hätte sie am liebsten von der Mauer gepflückt und selbst ein wenig geplündert. Gott sei Dank war sie nicht in der Lage, seine Gedanken zu lesen, dachte er noch, als er mit der Geschichte fortfuhr.
    »Als er nach fünf Jahren in französischer Gefangenschaft schließlich freigelassen wurde, kehrte er nach England zurück. Vermutlich dachte er, es sei an der Zeit, sesshaft zu werden, denn er ritt auf direktem Weg zu diesem Burgfried, tötete den Baron, der ihn gebaut hatte, und nahm von seinem Land und seiner Frau Besitz.«
    Ihre Augen weiteten sich. »Die arme Lady.«
    Leo zuckte mit den Achseln. »Sie muss einen gewissen Einfluss auf ihn gehabt haben. Denn er heiratete sie alsbald und hatte mit ihr sechs Kinder.«
    »Lebten sie bis ins hohe Alter glücklich zusammen?«
    Leo schüttelte den Kopf, während er langsam zu ihr hinüberschlenderte. »Thomas kehrte noch einmal nach Frankreich zurück, wo man ihm in Castillon schließlich ein Ende setzte. Aber die Franzosen waren sehr höflich und errichteten ihm ein Denkmal auf dem Feld.«
    »Ich finde nicht, dass er auch nur irgendein Zeichen von Anerkennung verdient hat.«
    »Gehen Sie nicht zu hart mit dem Kerl ins Gericht – er hat nur getan, was die Zeit von ihm verlangte.«
    »Er war ein Barbar«, erklärte sie entrüstet. »Unabhängig von der Zeit.« Der Wind hatte aus dem strengen Knoten eine Locke gelöst, die ihr über die Wange wehte.
    Leo konnte nicht widerstehen und streckte die Hand aus, um ihr die Strähne aus dem Gesicht und hinters Ohr zu streichen. Ihre Haut war weich und glatt. »Wie die meisten Männer«, sagte er. »Nur müssen sie heute mehr Regeln befolgen.« Er nahm den Hut ab, legte ihn auf die Mauer und starrte in Marks’ nach oben gewandtes Gesicht. »Sie können einem Mann eine Krawatte umbinden, ihm Manieren beibringen und an einer Soiree teilnehmen lassen, aber kaum einer meiner Geschlechtsgenossen ist wirklich zivilisiert.«
    »Nach dem, was ich über Männer weiß«, erwiderte sie, »stimme ich Ihnen voll und ganz

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