Kuss im Morgenrot: Roman
besorgt.
»Nicht körperlich. Aber ich möchte, dass jemand nach ihr sieht. Ich nehme an, sie ist in ihrem Zimmer. Würdest du zu ihr gehen oder Win schicken?«
»Selbstverständlich.«
»Stell ihr keine Fragen. Vergewissere dich nur, dass es ihr so weit gut geht.«
Eine halbe Stunde später kehrte Win mit der Nachricht zurück, Catherine habe es abgelehnt, etwas anderes zu sagen, als dass sie sich zurückziehen und nicht gestört werden wolle.
Wahrscheinlich war es das Beste, dachte Leo. Wenngleich er am liebsten zu ihr hinaufgegangen wäre, um sie in seine Arme zu schließen und sie zu trösten. Aber er würde sie erst einmal schlafen lassen.
Morgen war auch noch ein Tag. Dann würden sie alles wieder in Ordnung bringen.
Leo wachte um neun Uhr auf und ging zu Catherines Tür. Sie war noch geschlossen, und kein Laut drang nach draußen. Es kostete ihn sämtliche Beherrschung, nicht einfach die Tür zu öffnen und Catherine aufzuwecken. Aber sie brauchte den Schlaf … insbesondere im Hinblick auf das, was er später mit ihr besprechen wollte.
Als er die Treppe herunterkam, schien ihm der gesamte Haushalt einschließlich der Dienstmädchen praktisch schlafzuwandeln. Der Ball war erst um vier Uhr morgens zu Ende gewesen, und selbst dann hatten sich manche der Gäste nur ungern verabschieden lassen. Im Frühstücksraum trank Leo einen Becher starken Tee und sah zu, wie Amelia, Win und Merripen hereinkamen. Cam, der generell eher ein Spätaufsteher war, fehlte noch.
»Was ist Catherine denn letzte Nacht zugestoßen?«, fragte Amelia leise. »Und was hat es mit Lord Latimers überstürztem Abschied auf sich? Es wurde viel gemunkelt.«
Leo hatte darüber nachgedacht, ob er Catherines Geheimnisse mit dem Rest der Familie teilen sollte. Etwas würde er ihnen erzählen müssen. Und obwohl er nicht vorhatte, ins Detail zu gehen, hatte er das Gefühl, dass es auch für Catherine einfacher war, wenn sie die Sache nicht selbst erklären musste. »Wie sich herausstellt«, sagte er vorsichtig, »hatte Cats sogenannte Familie, als Cat gerade einmal fünfzehn war, ein Arrangement mit Latimer getroffen.«
»Was für ein Arrangement?«, wollte Amelia wissen. Ihre Augen weiteten sich, als Leo ihr einen vielsagenden Blick zuwarf. »Allmächtiger!«
»Gott sei Dank konnte Rutledge einschreiten, bevor sie von Latimer gezwungen wurde, mit …« Leo brach ab, überrascht vom wütenden Unterton in seiner Stimme. Er versuchte sich zu mäßigen, ehe er fortfuhr. »Es ist nicht nötig, näher darauf einzugehen. Jedenfalls handelt es sich ganz offensichtlich um einen Teil von Catherines Vergangenheit, über den sie nicht gerne spricht. Seit acht Jahren versteckt sie sich vor ihm. Man könnte sagen, sie ist bei uns untergetaucht. Gestern Abend hat Latimer sie erkannt und in höchstem Maße erschreckt. Ich bin sicher, sie wird heute Morgen aufwachen und beschließen, Hampshire zu verlassen.«
Merripens Züge waren hart und unnachgiebig, aber seine dunklen Augen waren warm und voller Mitgefühl. »Es gibt keinen Grund, warum sie irgendwo hingehen sollte. Bei uns ist sie in Sicherheit.«
Leo nickte und rieb mit dem Daumenballen über den Rand der Tasse. »Ich werde ihr das klarmachen, wenn ich gleich mit ihr spreche.«
»Leo«, sagte Amelia vorsichtig, »bist du dir sicher, dass du der Geeignete für diese Art von Gespräch mit ihr bist? Nach euren permanenten Streitereien in der Vergangenheit …«
Er blickte sie durchdringend an. »Ja, ich bin mir sicher.«
»Amelia?« Eine zaghafte Stimme kam von der Türöffnung zu ihnen herüber.
Es war Beatrix, die in einem gerüschten blauen Morgenrock steckte. Das dunkle Haar fiel ihr in wilden Locken über die Schultern. Auf der Stirn kräuselten sich ein paar Sorgenfalten.
»Guten Morgen, meine Liebe«, sagte Amelia herzlich. »Du musst nicht so früh aufstehen, wenn du noch nicht ausgeschlafen bist.«
Beatrix überschüttete sie mit einem wahren Redeschwall. »Ich wollte nachsehen, wie es der verletzten Eule geht, die ich in der Scheune untergebracht habe. Und ich war auch auf der Suche nach Dodger, weil ich ihn seit gestern Nachmittag nicht mehr gesehen habe. Also öffnete ich Miss Marks’ Tür, nur einen kleinen Spalt, um zu sehen, ob er bei ihr ist. Ihr wisst ja, wie gerne er in ihrer Pantoffeltruhe schläft …«
»Aber er war nicht da?«, erkundigte sich Amelia.
Beatrix schüttelte den Kopf. »Und Miss Marks auch nicht. Ihr Bett ist gemacht, und ihre Reisetasche ist
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