Kuss im Morgenrot: Roman
pochen.
Dodger kletterte blitzschnell an Catherine hinauf, hängte sich um ihren Hals und stellte sich tot.
Wie ein Schal, dachte sie und musste sich sehr zusammennehmen, um nicht in hysterisches Kichern auszubrechen.
Der empörte Blick der Matrone richtete sich geradewegs auf den Büschel Beeren in ihrem Schoß. »Aber … aber, die sind von meinem Hut! Haben Sie versucht, mich im Schlaf zu bestehlen ?«
Catherines Belustigung verflog umgehend. »Oh, nein, nein, nein, es war ein Unfall. Wissen Sie, ich …«
»Sie haben ihn ruiniert , und das war mein bester Hut, er kostete zwei Pfund und sechs Pence! Geben Sie mir die Beeren zurück, sof…« Doch sie unterbrach sich mit einem erstickten Laut, und ihr Mund formte sich zu einem kehligen O, als Dodger in Catherines Schoß sprang, sich die Beeren schnappte und in den Schutz der Reisetasche flüchtete.
Die Frau stieß einen ohrenbetäubenden, schrillen Schrei aus und versetzte die vollbesetzte Kutsche in hellen Aufruhr.
Fünf Minuten später wurden Catherine und ihre Reisetasche ohne Umschweife auf die Straße gesetzt. Da stand sie also, am Rande einer kleinen Kutschstation, überwältigt von einer aufdringlichen Mischung von Gerüchen: Der Gestank von Dung, Pferden und Urin verband sich auf natürliche Weise mit dem Geruch von gekochtem Fleisch und warmem Brot aus der Taverne.
Der Kutscher kletterte wieder auf seinen Bock, ohne Catherines wütenden Protest weiter zu beachten.
»Aber ich habe für die ganze Strecke nach London bezahlt!«, schrie sie.
»Sie haben für einen Passagier bezahlt, nicht für zwei. Zwei Passagiere bekommen die halbe Strecke.«
Catherine blickte ungläubig zwischen dem steinernen Gesicht und der Reisetasche in ihrer Hand hin und her. » Das ist kein Passagier«!
»Wir sind schon eine Viertelstunde verspätet wegen Ihnen und Ihrer Ratte«, erwiderte der Kutscher, winkelte die Arme an und ließ die Peitsche schnalzen.
»Er ist nicht meine Ratte, sondern … warten Sie, wie komme ich denn jetzt nach London?«
Einer der Stallburschen wandte sich zu ihr, als sich die Kutsche in Bewegung setzte. »Die nächste Post kommt morgen früh, Miss. Vielleicht haben Sie Glück, und der Kutscher lässt Sie und Ihr Tier oben mitfahren.«
Catherine funkelte ihn wütend an. »Ich will nicht oben mitfahren, ich habe für einen Innensitzplatz bezahlt, und zwar bis nach London, und ich betrachte dies als eine Form von Diebstahl. Was soll ich denn jetzt bis morgen früh machen?«
Der Knecht, ein junger Mann mit einem langen Schnurrbart, zuckte mit den Schultern. »Sie könnten fragen, ob ein Zimmer frei ist«, schlug er vor. »Obwohl sie von Gästen mit Ratten nicht begeistert sein dürften.« Er blickte über sie hinweg, als ein weiteres Gefährt in die Station einfuhr. »Aus dem Weg, Miss, oder Sie kommen noch unter die Räder.«
Zornentbrannt stapfte Catherine zum Eingang des Gasthauses. Sie warf einen Blick in die Reisetasche, wo Dodger mit den Beeren spielte. War es nicht schon genug, dachte sie verbittert, dass sie gerade ihr geliebtes Leben bei den Hathaways hatte aufgeben müssen, dass sie eine tränenreiche Nacht hinter sich hatte und jetzt völlig erschöpft war? Warum hatte ein ungnädiges Schicksal es vorgesehen, ihr auch noch Dodger unterzujubeln? » Du «, schimpfte sie vor Wut schäumend, »bist der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Du quälst mich seit Jahren , hast mir alle meine Strumpfbänder gestohlen, und …«
»Verzeihung«, ertönte eine freundliche Stimme.
Catherine blickte mürrisch auf. Im nächsten Augenblick schwankte sie, verlor vorübergehend das Gleichgewicht.
Wie vom Donner gerührt, starrte sie ihn an. Leo, Lord Ramsay, stand in einiger Entfernung vor ihr und sah sie belustigt an. Er behielt die Hände in den Taschen, als er lockeren Schritts auf sie zukam. »Bestimmt sollte ich das nicht fragen. Aber warum schimpfen Sie mit Ihrem Gepäck?«
Seine nachlässige Haltung hinderte ihn nicht daran, sie von Kopf bis Fuß zu mustern und eine sorgfältige Bestandsaufnahme zu machen.
Bei seinem Anblick verschlug es ihr den Atem. Er war so umwerfend, so freundlich und vertraut, dass Catherine beinahe dem Impuls nachgegeben hätte, sich ihm an den Hals zu werfen. Sie konnte nicht begreifen, warum er ihr nachgefahren war.
Sie wünschte so sehr, er hätte es nicht getan.
Sie hantierte an der Reisetasche herum und beschloss, dass sie Dodgers Anwesenheit unmöglich preisgeben konnte, bevor sie sich
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