Kuss im Morgenrot: Roman
zog sie zu sich herab.
»Oh, ich kann nicht …«, begann sie, aber er brachte sie zum Schweigen und nahm sie auf seinen Schoß. Ihre Masse an Röcken breitete sich um sie beide aus. Sie stützte den Kopf auf seine Schulter, und das hektische Keuchen ihrer Lungen passte sich allmählich dem gemäßigten Rhythmus der seinen an. Seine Hand spielte behutsam mit ihrem Haar. Es hatte eine Zeit in ihrem Leben gegeben, da wäre sie vor jeder Berührung eines Mannes zurückgeschreckt, ganz gleich, wie harmlos sie gemeint war. Doch in diesem Raum, vom Rest der Welt entfernt, schien es, als wäre keiner von ihnen recht er selbst.
»Du hättest mir nicht folgen dürfen«, brachte sie schließlich heraus.
»Die ganze Familie wollte am liebsten mitkommen«, sagte Leo. »Es scheint, als könnten die Hathaways nicht mehr ohne deine Manieren stiftende Anwesenheit leben. Also hat man mich damit beauftragt, dich zurückzuholen.«
Beinahe hätte sie darüber wieder angefangen zu weinen. »Ich kann nicht zurückkommen.«
»Warum nicht?«
»Du weißt es bereits. Lord Latimer hat dir doch sicher von mir erzählt.«
»Er hat ein klein wenig erzählt.« Er streichelte mit dem Rücken seiner Finger über die Seite ihres Halses. »Deine Großmutter war die Puffmutter, nicht wahr?« Sein Ton war ruhig und sachlich, als wäre es völlig normal, eine Großmutter zu haben, die ein Bordell besitzt.
Catherine nickte und schluckte kläglich. »Ich wohnte bei meiner Großmutter und Tante Althea, als meine Mutter krank wurde. Es dauerte eine Zeit, bis ich kapierte, was es mit dem Familienbetrieb auf sich hatte, bis ich begriff, was es bedeutete, für meine Großmutter zu arbeiten. Althea hatte bereits ein Alter erreicht, in dem sie unter den Kunden nicht mehr so beliebt war. Und dann wurde ich fünfzehn, und plötzlich war ich an der Reihe. Althea meinte zu mir, ich hätte Glück gehabt, denn sie hätte schon mit zwölf anfangen müssen. Ich fragte sie, ob ich nicht als Lehrerin oder Näherin oder etwas in der Art arbeiten könnte. Doch meine Großmutter und sie meinten, damit würde ich niemals das Geld erwirtschaften, das sie bereits für mich ausgegeben hatten. Für sie zu arbeiten, wäre das einzige einträgliche Geschäft, das ich ausüben könnte. Ich zermarterte mir den Kopf darüber, wo ich hingehen könnte, wie ich es schaffen könnte, alleine über die Runden zu kommen. Aber es gab keine Stellung, die ich ohne Empfehlung bekommen hätte. Außer Fabrikarbeit, eine gefährliche und schlecht bezahlte Tätigkeit. Ich hätte nicht einmal genug Geld verdient, um mir ein Zimmer leisten zu können. Ich flehte meine Großmutter an, mich zu meinem Vater gehen zu lassen, denn ich war mir sicher, dass er mich niemals dort gelassen hätte, hätte er von ihren Plänen gewusst. Doch sie sagte …« Catherine hielt inne, ihre Hände krallten sich in Leos Hemd.
Leo entkrampfte ihre Finger und verschränkte sie mit seinen eigenen. »Was hat sie gesagt, Liebes?«
»Dass er es wüsste und einverstanden sei, und dass er einen Prozentsatz des Geldes bekommen würde, das ich erwirtschaftete. Ich wollte es nicht glauben.« Sie stieß einen bebenden Seufzer aus. »Aber er muss es gewusst haben, nicht wahr?«
Leo schwieg, und sein Daumen rieb sanft die Innenfläche ihrer Hand. Die Frage bedurfte keiner Antwort.
Catherine widersetzte sich der Traurigkeit, die in ihr aufstieg, und fuhr fort: »Althea brachte nacheinander einige Gentlemen zu mir und befahl mir, charmant zu sein. Dann erklärte sie mir, Lord Latimer habe das höchste Gebot abgegeben.« Sie vergrub das Gesicht in Leos Hemd. »Ihn mochte ich von allen am wenigsten. Er zwinkerte mir ununterbrochen zu und erzählte mir, dass mich viele unanständige Überraschungen erwarten würden.«
Leo stieß ein paar verhaltene Flüche aus. Als er ihr Zögern bemerkte, fuhr er ihr mit einer Hand über den Rücken nach unten. »Erzähl weiter.«
»Aber Althea erzählte mir, was auf mich zukommen würde, weil sie meinte, dass ich viel besser sein würde, wenn ich Bescheid wüsste. Und die Handlungen, die sie beschrieb, die Dinge, die ich tun sollte …«
Die Hand auf ihrem Rücken hielt inne. »Hat man von dir verlangt, dass du eine davon in die Tat umsetzt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, aber es klang alles entsetzlich .«
Ein Hauch von mitfühlender Belustigung erwärmte seine Stimme. »Für ein fünfzehnjähriges Mädchen natürlich.«
Catherine hob den Blick und sah ihm in die Augen. Er war zu
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