Kuss mich kuss mich nicht
er bedauerte, dass es mich gab. Ich meine, Himmel, davon hatte sie die ganze Zeit geträumt. Seine Frau zu sein. Ich sage dir, ich habe die beiden an dem Tag gehasst. Habe sie und das, was sie einander und vor allem mir angetan hatten, gehasst.«
Sie blieb wieder stehen und blickte ihn an. »Ich wollte dir aus verschiedenen Gründen nicht erzählen, was damals geschehen war. Einer davon war durchaus nobel, denn dabei ging es mir um den Schutz von meiner Halbschwester. Aber vor allem …« Sie straffte ihre Schultern und brach ihm mit ihrem Bemühen, stark zu sein, beinahe das Herz. »Aber vor allem ging es mir um mich.«
Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Oder wischte vielleicht auch eine Träne fort. »Ich wollte all das nicht noch mal durchmachen und hatte mir eingeredet, dass ich das auch nie mehr müsste, denn schließlich sind die zwei inzwischen tot. Es war schon schwer genug, dir diese Geschichte zu erzählen. Aber durch die Nennung seines Namens hätte ich mich selbst mit alldem noch mal konfrontiert. Ich habe diese Dinge bereits damals nur mit Mühe überstanden und konnte mir einfach nicht vorstellen, dass ich …«
Ihre Stimme brach.
»Callie.« Er ging zu ihr und atmete erleichtert auf, als sie sich von ihm in die Arme nehmen ließ. Er wollte ihr Elend mildern, hatte aber keine Ahnung, was er machen sollte, und schüttelte deswegen unglücklich den Kopf.
Er hätte nie gedacht, dass die Wahrheit derart schmerzlich für sie war.
Plötzlich hörte er ein leises Schniefen, und dann trat sie einen Schritt zurück, hob den Kopf und sah ihm ins Gesicht.
Als sie wieder sprach, war ihre Stimme völlig ruhig. »Ich bin nicht hergekommen, um dir meine Liebe zu gestehen, sondern um dir zu sagen, wer mein Vater war.« Sie atmete tief ein. »Sein Name war Cornelius Woodward Hall.«
Jack spürte, wie sich seine Brust zusammenzog.
Er hatte sich bestimmt verhört.
Wieder räusperte sie sich und wiederholte ruhig: »Cornelius Woodward Hall.«
Als wolle sie sich daran gewöhnen, den Namen auszusprechen, dachte Jack.
»Oh mein Gott«, entfuhr es ihm. Er sah in ihr Gesicht und auf ihr rotes Haar. Bisher war ihm die Ähnlichkeit nicht aufgefallen, aber da er mit dem Mann recht gut bekannt gewesen war, konnte er sie plötzlich überdeutlich sehen.
»Grace ist meine Halbschwester. Soweit ich weiß, sind sie und ich die Einzigen, die die Wahrheit kennen. Das heißt, ihr Verlobter weiß sie auch.« Sie atmete hörbar aus. »Sie ist die einzige Familie, die ich noch habe, und ich hatte Angst … ach, ich weiß gar nicht genau, wovor. Ich dachte, sie würde sich darüber aufregen, wenn ich es dir sage, obwohl ihr gut befreundet seid. Es war immer ein Geheimnis, Jack. Mein Vater wollte nie, dass irgendwer etwas von mir erfährt. Erst nach seinem Tod habe ich mich aus Verzweiflung und aus Einsamkeit an Grace gewandt.«
Jacks Gedanken überschlugen sich. Er hatte Hall gekannt und respektiert, doch bei dem Gedanken daran, wie sehr Callie unter ihm gelitten hatte, löste sich dieser Respekt in Wohlgefallen auf.
»Wie zum Teufel konnte er so etwas tun?«
»Diese Frage habe ich mir selbst jahrelang gestellt.«
Wieder streckte er die Arme nach ihr aus, zog sie an seine Brust und sagte sich, er ließe diese Frau nie wieder los.
Dann dachte er an Hall, wie er lächelnd mit seiner Frau und Tochter durch den New Yorker Congress Club geschlendert war. Der Mann hatte immer in den höchsten Tönen und vor allem äußerst überzeugend von seiner Familie geschwärmt. Und nichts von alldem hatte gestimmt.
Dieses verdammte Schwein.
Am liebsten hätte Jack den Grabstein dieses Typen umgestürzt.
»Erst gestern Abend wurde mir bewusst«, murmelte Callie dicht an seiner Brust, »dass ich nicht nur Grace beschützt habe. Deshalb beschloss ich, dir alles zu sagen. Aber dann kam die Ankündigung deiner Mutter, und ich verlor alles … aus den Augen. Was du mir versprochen hattest, wer du wirklich bist. Ich wünschte, ich könnte die Uhr zurückdrehen und die Tür noch einmal aufsperren, Jack. Wirklich.«
»Schon gut.«
Es war so einfach zu verzeihen, erkannte er. Das reinste Kinderspiel.
»Als ich heute Morgen hörte, dass du deine Mutter rausgeworfen hast, wurde mir plötzlich klar, dass ich die Situation vollkommen falsch verstanden hatte. Deshalb habe ich mit Grace gesprochen.« Sie legte ihren Kopf zurück und sah ihn an. »Aber eins möchte ich klarstellen. Ich habe sie nicht um Erlaubnis gebeten, es dir zu
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