Kyria & Reb Bis ans Ende der Welt (German Edition)
goldbestickten Gewändern in den Saal. »Pomp and Circumstance« – das wussten sie zu zelebrieren. Begeistert klatschte man im Takt der Musik. Die Tänzerinnen teilten sich schließlich in zwei Gruppen und bildeten ein Spalier, durch das nun Ma Donna Saphrina selbst in den Saal schritt. Hochgewachsen, in einen prachtvollen Ornat gewandet, die goldblonden Haare zu einer Krone geflochten, auf dem Arm ein kleines Kind, das seine Arme um ihren Hals schmiegte – die Inkarnation der Großen Mutter, die Hohepriesterin des Matronentempels.
Sie nahm gelassen die Huldigungen der Menge entgegen und ignorierte die zahlreichen Medienvertreter, die eifrig Aufnahmen von ihr machten.
Vor meinem geistigen Auge erschien wieder das Bild des verletzten Jungen, der blutend auf dem Pflaster lag und um den sich niemand kümmerte.
Erst recht nicht die Große Mutter.
Es war, als würden die Farben verblassen, grau und grämlich werden. Ich hatte meine Erfahrungen mit den Priesterinnen gemacht. Meine Kommentare über sie hatten mir den Ruf eingebracht, eine Zynikerin zu sein.
Insbesondere Bonnie hatte mich schon häufiger als solche getadelt. Sie bewunderte nämlich die Frauen aus dem Tempel, und während sie unten an der Treppe auf mich wartete, strahlte ihr süßes Gesicht vor Begeisterung und Hingabe. Die Handflächen vor der Brust zusammengepresst, verneigte sie sich nun tief, wie alle anderen auch.
Ich hob nur die Rechte zum halben Gruß und senkte ein wenig den Kopf. Mutter hinter mir zischte leise. Aber ich blieb bei dieser Geste, auch wenn sie ungehörig war.
Ma Donna Saphrinas dramatisch geschminkte Augen ruhten auf mir. Sie war zu weit entfernt, als dass ich ihren Ausdruck hätte deuten können. Amüsierte sie die Respektlosigkeit meiner Reverenz, oder war sie empört?
Es war mir egal.
Die Musik erstarb, die Hohepriesterin übergab das Kind auf ihrem Arm einer Frau aus ihrem Gefolge und trat weiter vor. Mutter forderte mich mit einem Stupser auf, die Treppe zu ihr hinabzusteigen. Ich tat es, froh darüber, dass mein Ärger über diesen prunkvollen Auftritt das Schwindelgefühl endgültig vertrieben hatte.
Ich blieb vor der Hohepriesterin stehen und kam nun nicht umhin, die passende, ehrfurchtsvolle Verneigung auszuführen.
Ma Donna Saphrina lächelte und erhob ihre wohlklingende Stimme. Meinen Ehrentag würdigte sie und in vielen Wendungen und Lobpreisungen vor allem das Glück, dass ich ihn bei Gesundheit und voller Freude erleben durfte.
Mir wurde kalt und kälter. Wenn ich um eines wusste, dann um die Zerbrechlichkeit meines Lebens.
Ich war eine Gendefekte. Der Tod lauerte hinter jeder Biegung, heimtückisch und listenreich. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er mich holte.
Achtzehn Jahre hatte ich ihm getrotzt – mit Hilfe der ärztlichen Kunst und andauernder Fürsorge.
Die Zukunft – wer mochte wissen, wie lange meine noch währen würde?
Ich hörte nicht, was die Inkarnation der Großen Mutter auf Erden von sich gab. Ich umfasste den Anhänger, der um meinen Hals lag, und versuchte die Wärme darin auf mich überzuleiten, um die düstere Kälte in mir zu vertreiben.
Es gelang nicht.
Was sie aber vertrieb, war der Schock, den Ma Donna Saphrina mir in diesem Augenblick versetzte.
»Und darum, mein liebes Kind, nehmen Wir dich im Tempel der Matronae auf, damit du in Ihrem Dienst dein Leben erfüllst.«
Alles jubelte.
Ich war wie erstarrt.
»Kyria, du musst dich bedanken«, wisperte Mutter hinter mir.
»Ich will nicht!«
»Kyria, es ist eine einmalige Chance. Sie nehmen nur zwölf Novizinnen im Jahr auf.«
Bonnie starrte mich an, Ole zeigte eine unbewegte Miene, Saphrina lächelte abwartend.
Wie eine Schlange, die ihr Opfer fixiert.
Ich stammelte »Danke«.
»Besuche Uns übermorgen im Tempel, mein Kind«, erwiderte die Hohepriesterin, und wie auf ein geheimes Zeichen setzte die Musik wieder ein, begannen ihre Priesterinnen zu tanzen, und sie wandte sich dem Ausgang zu.
Ich drehte mich zu meiner Mutter um.
»Darüber reden wir noch«, keuchte ich.
»Später, Kyria.«
Aber ihr Gesichtsausdruck sagte mir, dass die Entscheidung endgültig war. Sie hatte es zusammen mit ihrer Freundin Saphrina ausgemacht.
Ich saß in der Falle.
In einer mehr.
»Der Ball ist eröffnet«, verkündete meine Mutter, und einer der vielen jungen Männer verbeugte sich vor mir, um mich zum ersten Tanz zu holen. Vorsichtig und langsam, als wäre ich aus Glas, führte er mich durch das Rund, bis sich andere Paare
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