Kyria & Reb Bis ans Ende der Welt (German Edition)
uns quer durch die Felder der Stadtsilhouette von Hanau näherten, hielt er an einer Koppel an.
»Ende der Gemütlichkeit, ab jetzt gehen wir zu Fuß.«
»Gemütlich ist anders«, murrte ich und kam mit schmerzenden, wackeligen Beinen auf den Boden. »Was ist mit diesem Vieh? Findet das allein zurück?«
»Das wird sich hier mit seinen Artgenossen vergnügen, und heute Abend holt es einer der Stalljungen wieder ab.«
»Woher weiß der, wo es sich befindet?«
»Princess, nicht nur Menschen haben ein Id. Pferde, vor allem so wertvolle, auch.«
»Ach, wertvoll?«
»Gib mir den Rucksack.«
»Nur zu gerne.«
Wir hatten noch einen halbe Stunde zu gehen, dann waren wir in der Stadt. Rebs KomLink mit seiner Navifunktion wies uns den Weg zum Bahnhof, und eine Viertelstunde bevor unser Zug eintraf, standen wir auf dem Bahnsteig. Reb war aufmerksam, das musste ich ihm lassen. Er hatte ein gutes Auge dafür, wo sich Überwachungskameras und Sensoren befanden, und lenkte vor allem mich so, dass so wenig wie möglich von mir erfasst wurde.
Als wir sicher im Zug saßen, erlaubte ich mir ein gewisses Gefühl der Erleichterung. Je weiter ich mich von La Capitale entfernte, desto geringer war die Gefahr, erkannt und aufgegriffen zu werden. Gebannt aber war sie noch lange nicht.
Reb war in sich gekehrt, spielte auf seinem KomLink herum und hatte sich demonstrativ dessen Ohrstöpsel reingesteckt. Ich schaute aus dem Fenster, fand aber die vorbeifliegende Landschaft auch nicht sonderlich inspirierend. Also nahm ich mir den Kopfhörer von der Rückenlehne vor mir, um Musik zu hören. Und nachzudenken.
Zum Beispiel über Cam.
Was, um alles in der Welt, hatte ihn veranlasst, mich derart heftig zu küssen?
Okay, es war nicht der erste Kuss in meinem Leben. Seit meinem sechzehnten Geburtstag hatten sich Jungmänner um mich bemüht, und natürlich hatte ich meine Neugier befriedigen wollen. Der erste, der mir einigermaßen gefallen hatte, war entsetzlich schüchtern gewesen. Seine Küsschen wirkten wie Schmetterlingshäuchlein, und sein – ich konnte es nicht anders nennen – hilfloses Gefummel weckte mehr unangenehme als prickelnde Gefühle in mir. Der zweite war etwas mutiger, aber er fragte nach jedem Kuss und nach jeder Berührung, ob mir das gefalle und ob es mir auch guttäte. Das nervte mich dermaßen, dass ich ihn nach der fünfundzwanzigsten Wiederholung dieser blöden Frage in die Wüste schickte. Einen dritten Versuch hatte ich vor einem halben Jahr unternommen, und bei dem – ebenfalls recht zögerlichen – jungen Mann fiel es mir dann endgültig auf: Irgendwer brachte ihnen allen die gleichen Handgriffe und Kusstechniken bei. Es war so austauschbar, das Gefummel, dass ich einen Lachkrampf bekam, als er die Schmusechoreografie seiner Vorgänger wiederholte. Es entwickelte sich daraufhin keine innige Beziehung zwischen uns.
Nichts, aber auch gar nichts war vergleichbar mit dem Schwindel, den Cam in mir bewirkt hatte. Und ich war mir ganz sicher, dass dieser Schwindel nichts mit meiner Krankheit zu tun hatte, denn gleichzeitig hatte er eine Glutwelle in meinem Bauch ausgelöst, wie ich sie noch nie gespürt hatte.
Ich wurde schon wieder rot, als ich nur daran dachte.
Und noch heißer wurde mir, als ich mich dabei ertappte, dass ich das Erlebnis zu gerne wiederholt hätte.
»Vielleicht sehen wir uns wieder«, hatte er gesagt.
Wusste Cam, was er angerichtet hatte?
Reb riss mich aus meinen Gedanken, als er mir sein KomLink reichte. Was ich auf dem kleinen Bildschirm sah, löschte alle Tagträume von irgendwelchen feurigen Knutschereien. Es erschreckte mich. Eine Gruppe Amazonen, begleitet von männlichen Vigilantes in Schutzkleidung als Verstärkung, hatten das Quartier der Subcults hinter dem Alice-Schwarzer-Platz gestürmt. Sie waren auf der Suche nach Reb und mir. Dabei hatten sie, das sah man auf den Aufnahmen, die ganzen Verschläge auseinandergenommen, Möbel zertrümmert, Vorräte verstreut und sich offensichtlich mit den Bewohnern geprügelt.
Gebracht hatte ihnen der Einsatz wenig, augenscheinlich hatte keiner der Subcults ein Wort über uns verloren.
Ich wollte etwas sagen, aber Reb wisperte: »Später.«
Er hatte recht, hier im Zug saß man zu eng aufeinander.
Immerhin hatte die Meldung mich merklich ernüchtert, und ich verstaute die Erinnerung an Cam und seinen wundervollen Kuss in die hinterste Ecke meines Bewusstseins. Dafür lernte ich lieber noch einmal meine neue Biografie als Princess La
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