Kyria & Reb Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Pflaumenbäume, die wir und eine ganze Horde Kinder zu plündern hatten. Anschließend saßen wir im Hof und entsteinten die Früchte, die dann zu Pflaumenmus verarbeitet werden sollten.
Mitten bei dieser klebrigen Tätigkeit traf mich Dr. Grenouille an.
»Mademoiselle, sie sehen zwar verschmiert, aber sehr gesund aus«, begrüßte er mich herzlich, und ich reichte ihm den Ellbogen, nicht meine Hand, weil die schwärzlich vom Obstsaft war.
»Greifen Sie zu Dr. Grenouille, die Pflaumen sind köstlich.«
Er nahm die angebotenen Früchte und begrüßte Hazel ebenso freundlich.
»Ich bringe Sie zu meiner Mutter, Dr. Grenouille. Mit ihr können Sie über diese Impferei sprechen. Sie ist unsere Heilerin.«
Offensichtlich konnte der Arzt Jenevra von der Notwendigkeit der vorbeugenden Impfung überzeugen, denn nach dem Mittagessen ließen sich alle bereitwillig pieksen. Alle, bis auf Willow.
»Ich will mit dem Zeug aus NuYu nichts zu tun haben«, erklärte sie rigoros. »Ich habe die Masern als Kind gehabt, und ich bin zu alt, als dass sie sich noch mal über meinen klapprigen Leib hermachen.«
Es half nichts, dass Dr. Grenouille sie zu überreden versuchte, es halfen meine Schmeicheleien und Jenevras Vorhaltungen nichts, sie blieb hartnäckig.
Als alle verarztet waren, erklärte Dr. Grenouille, dass er sich auf den Weg zu den Arztpraxen in der Umgebung machen wolle, um dort ebenfalls den Impfstoff oder, besser gesagt, die zu dessen Herstellung notwendigen Kulturen abzuliefern. »Aber vorher möchte ich gerne noch ein paar Minuten mit Mademoiselle Kyria sprechen. Unter vier Augen, wenn es möglich ist.«
»Natürlich, Dr. Grenouille. Kyria wird Sie in den Salon führen. Und, Kyria, mach die Tür hinter euch zu«, meinte Jenevra.
Eine geschlossene Tür bedeutete in diesem Haus, dass niemand in den Raum eintreten sollte.
Der Salon wurde beherrscht von einem gewaltigen gemauerten Kamin, mehreren wuchtigen Ledersesseln, die wie gestrandete Wale um einen bunten Teppich lagerten, einem mit blinkenden Glasprismen behangenen Leuchter, einem Vertiko und anderen wunderbar geschnitzten, offenbar uralten Holzmöbeln. Ich fand den Raum sagenhaft komisch, denn Tilia, Willows jüngste Tochter, hatte ihn mit etlichen Töpfen aus ihrer Werkstatt bestückt und in jedem einen bunten Strauß unechter Blumen versenkt.
»Ähm – anheimelnd hier!«, bemerkte auch Dr. Grenouille und zupfte vorsichtig an einer unzeitgemäß blühenden Fliederdolde.
Ich kicherte und setzte mich in einen der Sessel, der mich fast zu verschlucken drohte. Der Arzt ließ sich auf der anderen Seite des Kamins nieder und rutschte mit leicht entsetztem Blick nach hinten.
»Sehr – mhm – bequem.«
»Nach dem Sonntagsessen sinken hier einige Familienmitglieder gerne in einen erholsamen Schlummer.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen. Aber obwohl ich mich überaus angenehm gesättigt fühle, Mademoiselle, würde ich es doch begrüßen, wenn Sie eine Weile wach bleiben würden.«
»Was haben Sie mir mitzuteilen? Ist es wegen meiner Krankheit?«
Mich packte schon wieder ein beklemmendes Gefühl der Angst.
»Aber nein, Mademoiselle, beruhigen Sie sich. Es besteht überhaupt kein Anlass zur Sorge. Hat Ihr junger Freund Ihnen nichts von den Befunden gesagt?«
»Befunden? Nein. Von welchen Befunden?«
»Gut, vermutlich hat die Begegnung mit seinem Vater einige andere Dinge in den Hintergrund gedrängt. Geht es dem uncharmanten Rebellen gut, Mademoiselle?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe ihn seit zwei Monaten nicht gesehen.«
»Oh – nun, das wundert mich. Ich hatte den Eindruck, er sei Ihnen sehr zugetan.«
»Ich bin ihm völlig egal.«
»Hoppla. Nun, das macht untereinander aus.«
»Da gibt es nichts auszumachen. Es ist vorbei. Ich bin hier, er bei seinem Vater.«
»Na gut. Also, dann übernehme ich die Aufgabe, Ihnen diese Dokumente zu erläutern. Sie müssen wissen, dass Reb sie mir mit dem Impfstoff zusammen übergeben und mich damals schon gebeten hat, sie Ihnen zu erklären. Aus verschiedenen Gründen habe ich das nicht getan, sondern ihm nahegelegt, es Ihnen selbst zu sagen.«
»Was zu sagen?«
»Sie haben kurz vor Ihrem Aufbruch eine Speichelprobe hinterlassen, die untersucht wurde. Insbesondere auf genetische Defekte.«
»Ach ja, Cam wollte das unbedingt. Aber das ist doch nichts Neues. Ich weiß, dass ich einen Gendefekt habe. Und dass ich vermutlich nicht allzu lange leben werde.«
»Wer hat Ihnen denn den Blödsinn aufgetischt?
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