Kyria & Reb - Die Rückkehr
wissen wollen, nachdem die Frauen gegangen waren.
»Weil ich dann Olga beschuldigen müsste«, war ihre knappe Antwort.
»Ja, und das würde sie doch unmöglich machen!«
»Mich ebenfalls. Kyria, die Menschen vertrauen unserem System. Es würde die Bürger vollends verunsichern, wenn wir ihnen offenbaren, dass wir sie mit derartigen Maßnahmen manipulieren.«
»Aber man muss doch endlich mal die Wahrheit sagen! Genau wie mit diesen künstlich hervorgerufenen Seuchen und den ständigen, völlig überflüssigen medizinischen Untersuchungen. Alle haben Angst davor, krank zu werden. Aus den nichtigsten Gründen.«
»So ist es leider. Aber Angst ist irrational. Man kann sie nicht von heute auf morgen abstellen. Ich versuche es damit, dass ich Programme für mehr Aufklärung fördere, dass ich den Vertreterinnen im Gesundheitswesen Auflagen mache, unnötige Untersuchungen aufzugeben, Stellen einzusparen und einige medizinische Daten nur auf freiwilliger Basis auf den Ids zu speichern. Aber das braucht seine Zeit.«
Sie hatte recht, auch ich hatte meine Angst vor dem tödlichen Gendefekt bewältigen müssen, und Alvars Rat, die Leere, die die fehlende Angst hinterließ, nicht mit einer neuen zu füllen, klang mir noch im Ohr. Trotzdem …
»Wenn Olga jetzt schon solche Aktionen in die Wege leitet, was wird sie dann erst tun, wenn sie die Wahl gewinnt? Mama, wir leben in einer dermaßen verlogenen Welt … «
»Ruhig, Kyria, ruhig. Mit Gewalt kannst du auch nichts verändern.«
Das übliche Argument. Alles in mir rebellierte.
»Die Sache ist doch nicht auf Olgas Mist gewachsen, Mama. Die ist viel zu doof, um sich so was auszudenken. Die zappelt doch an den Schnüren von jemandem, der sie nur als Marionette benutzt.«
»Kann sein. Und wenn das wirklich so ist, steht jemand mit großer Macht hinter ihr.«
»Der Tempel?«
Ma Dama Isha schüttelte den Kopf. »Du kannst Ma Donna Saphrina nicht leiden, das ist mir klar, Kyria. Aber deshalb solltest du sie nicht zum Sündenbock für alles und jedes machen. Ich denke, es sind eher einige Leute aus dem Pharmabereich, die Olga unterstützen. Und das ist genau die Bastion, die ich mit meinen Programmen angreife. Aber wie schon gesagt – offen kann ich sie nicht anklagen.«
Ich musste mich geschlagen geben, sie kannte die Machtspiele besser als ich. Immerhin erkannte sie die Schwachstellen des Systems.
»Und nun zum Herbstlaubfest«, wechselte sie das Thema.
Das Herbstlaubfest war ein Volksfest, das sich großer Beliebtheit erfreute. In den Parks, Grünanlagen und den umliegenden Wäldern präsentierten sich Vereine und Gruppen, Künstler aller Art, wurden Spiele veranstaltet und Zeremonien abgehalten.
Ich sollte vor dem Pavillon der UrSa eine kleine launige Rede halten, ein Lob der bunten Blätter – ja nichts Politisches oder Gesellschaftskritisches. Dazu hatte ich mir schon einige Gedanken gemacht, und meine Mutter billigte den Entwurf, den ich ihr vorlegte.
»Du wirst mich würdig vertreten.«
»Vertreten?«
»Ja, ich muss nächste Woche nach London und anschließend nach Rom. Du bist inzwischen so geübt darin, dass ich dir diesen Auftritt anvertrauen kann.«
Ich fühlte mich geschmeichelt – und beklommen. Bisher hatte ich nur als Beobachterin an den Veranstaltungen teilgenommen, hin und wieder etwas Small Talk gemacht, aber nie eine Meinung geäußert.
»Ich werde mich verhaspeln und stottern und rot werden.«
»Du wirst lächeln und dein Herz verströmen. Du hast eines.«
Und ich errötete und stotterte und verhaspelte mich.
Mama umarmte mich.
Am Tag des Herbstlaubfestes erstrahlte die Welt in hellem Sonnenschein, als wäre das Wetter für das Fest bestellt worden. Ich trug ein jadegrünes Gewand mit eingewebtem Blattmuster, schlicht, aber erlesen, wie es von meinem Stand erwartet wurde. Zwei Amazonen in Zivil begleiteten mich zum Park, wo ich um die Mittagszeit und dann noch einmal am Nachmittag meine Rede halten sollte.
Der Pavillon war mit Seidenbändern in Weinrot und Goldgelb geschmückt, im Wappenschild über dem Eingang gab die Bärin – das Symbol der UrSa – den einzigen Hinweis, wer diesen Stand betreute. Die Besucher erhielten kleine Gläschen mit Traubensaft und Käsehäppchen, es bildeten sich Grüppchen, schwatzend, einander grüßend. Mich erkannten überraschend viele, und mein Namensgedächtnis wurde schmerzlich strapaziert. Daher freute ich mich, als April und Terry vorbeikamen. Von ihnen wollte ich unbedingt wissen, was mit der
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