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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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auch die Zeit ihre bisherigen Dimensionen verlieren. Das, was er jetzt verspürte, war weder Angst vor dem neuen Leben noch Trauer um das alte. Eigentlich wollte er, daß alles, was er erwartete, hinter ihm bliebe, damit ihn diese Welt, die ihm die letzten nahen menschlichen Wesen genommen hatte, erfüllen und umgestalten würde.
    Der Nebel lichtete sich, und wiederum erblickte er vor sich einen langen, schmalen Korridor und dahinter einen Saal ohne Türen und Fenster mit einer offenen Decke zum heiteren Morgenhimmel. Als er diesen Saal betrat, erschienen zusammen mit ihm bunte Flecken und Linien an den Wänden. Er verfolgte ihre Bewegungen und Umwandlungen anfangs ziemlich gleichgültig, dann mit wachsendem Interesse und schließlich sogar mit Vergnügen. Er wunderte sich über sich selbst, daß er tags zuvor während der Wanderungen mit Helia und Mia, die Schönheit und Harmonie dieser plastischen Formen nicht wie heute hatte empfinden können.
    Helia hatte recht: Diese farbigen Linien und Muster wurden vom Strom seiner Gedanken gesteuert. Dessen war er sich jetzt ganz sicher. Es bestätigte die Experimente, deren Resultate immer fesselnder wurden, als er immer neue Verbindungselemente entdeckte. Allmählich bekam er auch Übung in der Lenkung des Verlaufs der plastischen Visionen, und damit gleichzeitig des Ablaufs der eigenen Gedanken. Diente dieser gewaltige Encephalograph diesem Ziel? Konnte man nicht nur den Verlauf der Gedanken sehen, sondern auch ihre Richtigkeit kontrollieren? Oder nur die formale Richtigkeit? Vielleicht auch die meritorische Richtigkeit?
    Er spürte, daß er sich an der Schwelle der Entdeckung einer weiteren ungewöhnlichen Eigenart dieser Anlagen befand.
    Wiederum begann er zu experimentieren. Er stellte sich Fragen und versuchte sie zu beantworten, indem er die Veränderungen der Formen und Farben verfolgte. Es war nicht leicht, aber allmählich erlangte er darin Übung. Im Prinzip erinnerte das an ein »Ja-und-Nein-Spiel«, bei dem eine Person, die nach der Wahrheit sucht, Sätze sagt und nur Informationen über ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit erhält. Diese Information war hier zwar in einem Rost unbekannten Code ausgedrückt, aber er fühlte, daß er ihre Gesetzmäßigkeiten zu ergründen begann.
    Ermöglichte diese neue Fertigkeit tatsächlich die Erlangung neuer Informationen? Er könnte einer Illusion anheimfallen. Der einzige Weg war die experimentelle Überprüfung der Richtigkeit der gewonnenen Antworten.
    Wenn man den Versuch unternehmen würde, die ungewöhnlichen Eigenschaften dieser Wände für die Suche nach Helia und Mia einzusetzen … Der Erfolg wäre die beste Bestätigung, daß die Entdeckung nicht nur scheinbar war. Er begann in Gedanken die Richtungen zu erwägen und versuchte durch Verfolgung der Veränderungen an den Wänden zu ergründen, welche die richtige war. Doch er hatte keine Sicherheit. Die Muster und Linien schienen ähnlich zu sein, die Intuition konnte ihn irreführen; die Versuche einer Analyse waren fruchtlos, er fand keinen Anhaltspunkt. Er wußte nicht, warum, aber es war ihm eingefallen, daß es bedeuten mochte, daß Helia und Mia keine solche Begegnung wünschten. Er versuchte diesen Gedanken zu verdrängen, aber er kehrte immer wieder. Es versetzte ihn in einen Zustand der Unruhe und Gereiztheit. Ohne weitere Experimente vorzunehmen, ging er beim ersten angezeigten Durchgang durch die Wand.
    Der nächste Saal ähnelte dem vorherigen Saal aufs Haar. Er fragte sich, ob es nicht sogar derselbe sei. In dieser Welt durfte man auch eine solche Möglichkeit nicht von der Hand weisen.
    Der dritte Saal hingegen hatte ein ganz anderes Aussehen. Weiße, matte und tote Wände, eine niedrige Decke ohne Widerspiegelung des Himmels. Aus dem Boden wuchsen in unregelmäßigen Reihen Stäbe verschiedener Größe und Dicke. Wozu dienten diese Einrichtungen? Würde er es je erfahren?
    Er streckte die Hand aus und berührte mit den Fingern vorsichtig einen Stab. Er kam ihm sonderbar warm vor, weich, ja sogar pulsierend. Ein Schauer durchlief Rosts Körper. Hatten das die umgebenden Kräfte bewirkt oder war es einfach die nervöse Spannung? Das konnte er nicht feststellen.
    Ich benehme ich wie ein Höhlenmensch, ging es ihm durch den Kopf.
    Er ließ den Stab los, doch lag dieser Bewegung eher eine bewußte vernünftige Entscheidung als Angst zugrunde. Diese pulsierenden Maschinen erweckten in ihm keinen Ekel, im Gegenteil, er empfand Vergnügen, als er mit der

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