L wie Liquidator
Vernichtung, des Verderbens, und ohne Ruhm und Fanfaren. Von dieser Heiligen Mauer, von der ach so weit entfernten Mauer sprühte es, gellte es, brauste es, schrillte es, spie es mit haßerfüllter Sehnsucht zu töten, umzubringen, zu vernichten, in Stücke zu reißen und wieder zu töten. Ja, von dieser hohen Mauer, von dem so merkwürdig anziehenden Rand der Jerusalemer Mauer mit der hohen Schicht der Säcke, vollgestopft mit Wolle, an der Zinne.
»Tun Sie endlich etwas!« schrie der Historiker, »der Turm fängt an zu brennen!«
Der Techniker zuckte wütend die Achseln und brüllte: »Ja, ich tu etwas. Halten Sie sich gefälligst weit weg von mir und halten Sie auch den Mund, Verehrtester!«
Aus dem Untergrund des Holzkolosses schlugen schon die Flammen, aber die Männer fühlten keine Angst. In des Erlösers Willen ergeben, in dem Willen ihrer brünstigen Sehnsucht, das Gottesgrab zu befreien, rechneten sie natürlich damit zu sterben, zu fallen im Kampf.
Der Tod ist des Ritters Bruder, und sie waren Ritter. Ritter dieses Namens würdig. Nein, sie fühlten nicht Furcht vor dem Ende, nur eine traurige Scheu überkam sie, eine demütige Scheu.
Ihre Kräfte gingen zu Ende, die letzten Kräfte, die sie aufzubieten vermochten. Und wenn sie umkommen sollten, so fielen sie, verbrannten, verschwanden sie in der glühenden Ruine des mächtigen Turms. Bald trifft die Armee der Ungläubigen aus Ägypten ein und erledigt den kläglichen Rest. Ihr Untergang bedeutet, daß sich das Abendland in einen neuen Krieg fürs Heilige Land nicht einläßt.
Ja, es ist schon so. Der Allmächtige, ihr höchster Befehlshaber, wünscht, daß sie für Ihn sterben, so wie er sich unweit von hier auf Golgatha für alle geopfert hatte, für das Heil der ganzen Welt, für die Rettung ihrer Seelen.
Der junge anglofränkische Adelige beobachtet fasziniert den Rand der Mauer. Es ist notwendig, einen Sprung zu riskieren, hinaufzukommen, für die göttlichen Wunden Jesu Christi, für alle, die in Seinem Namen lebten und starben, die in Seinem Namen leben und sterben werden.
Der brennende Turm knirscht schon in den Fugen.
Die Männer verfallen in mystische, heilige Verzückung. Ja, sie begreifen es, eben haben sie es begriffen. Sie sind Sein Brandopfer, ein Brandopfer für den Heiland, der zu ihnen herabsieht und auf sie wartet, um sie in Seiner unendlichen Gnade zu empfangen.
Sie heben die Waffen empor.
Sie haben sie schon nicht mehr zum Angriff, sondern zu ihrer eigenen Ehre. Zuerst einer, dann fallen weitere ein, bis aus der brennenden Glut im heiligen Chor ein einziger weihevoller Schrei tost, der die ganze Heilige Stadt umarmt:
»Gott will es!«
»GOTT WILL ES!!« donnert plötzlich ein furchtbarer Widerhall von Norden. Alle sehen sich um, und trauen ihren Augen nicht. Die Verstärkung ist da! In das heilige Tal Josaphat strömt ein riesiges Heer herein! Die Banner und Standarten wehen und flattern, der führende Ritter hebt das Kreuz in weihender Geste, Lanzen steigen empor, die Schwerter glänzen in blitzendem Meer, und wieder hört man den Ruf, das Geschrei, die Parole, die sie von Clermont bis zu der ersehnten Stadt ihrer Träume begleitet:
»GOTT WILL ES!«
In demselben Augenblick kommt aber jedem Kreuzfahrer der einzige Gedanke in den Sinn: Das ist doch … eine Armee der Toten! Man sieht viele, die den ruhmreichen Tod fanden – bei Nicäa, bei Dorylaon, in St. Simeons Ebene, die, die starben durch Hitze und Durst bei dem Marsch über die anatolische Wüste, und in der Vorhut reitet Bischof Adhemar de Puy, der vor einem Jahr in Antiochia starb! Ja! Gott hat sie nicht vergessen. Gott schickte seine Toten zur Hilfe, und die kommen in der höchsten Not, fast wäre es schon zu spät gewesen!
Nie dagewesene Begeisterung befällt alle, die Kräfte wachsen unglaublich. Langsam beginnt der brennende Turm in sich zusammenzusinken, der Wind dreht das Feuer zur Mauer. Die Sarazenen ziehen sich mit schrillen Schreien vor den Flammen zurück, die Wollsäcke fangen an zu brennen. Die Balkenfugen lösen sich, der Turm neigt sich zur Zinne, die Entfernung wird kleiner, und da springt schon der rotbärtige Adelige auf die ersehnte Mauer der Heiligen Stadt, und schlägt den Soldaten zu Boden, der ihn durchstechen will.
Im Nu steht neben ihm Gottfried von Bouillon, weitere eilen aus den unteren Stockwerken, der Kampf rast schon auf der Burgmauer, der letzte von der Belagerungsmannschaft springt auf die Zinne in dem Augenblick, als
Weitere Kostenlose Bücher