L wie Love
Beispiel ein eigenes Badezimmer. Ich sah mich bereits stundenlang vor dem Spiegel stehen, um mich schön zu machen. Ich hatte eine genaue Vorstellung davon, wie ich aussehen wollte. Sexy, aber nicht zu sexy, nicht billig sexy. Das Stylen erforderte also viel Arbeit und die konnte ich nur bewältigen, wenn Hugo nicht ständig an die Tür hämmerte.
Ich warf Mom und Dad am Frühstückstisch einen Blick zu, und schenkte mir ein Glas Orangensaft ein. Dad goss sich Kaffee in einen Thermobecher, Mom blätterte in der Zeitung.
Hinweis an Teenager, die von ihren Eltern etwas wollen
Erst mit Komplimenten gefügig machen. Auch alte Leute hören gerne Schmeicheleien.
»Du siehst zurzeit richtig gut aus, Dad«, sagte ich. Heute war er mein Zielobjekt. Immerhin war er in der Baubranche tätig.
Er blickte auf seine Stahlkappenstiefel und seine farbverschmierte Khakihose.
»Ach übrigens, Dad, könntest du Sophias Zimmer in ein Badezimmer für mich umbauen?«, fuhr ich fort. »Erst wenn sie weg ist, natürlich«, fügte ich grinsend hinzu.
»Ein Badezimmer?« Kaffee schwappte auf Dads Hand.
»Ja. Ich dachte, man könnte die Wand zwischen Sophias und meinem Zimmer rausreißen, sodass ein Zimmer mit eigenem Bad entsteht.«
Mom sah mich an, als sei mir ein zweiter Kopf gewachsen. »Das wird das Zimmer fürs Baby.«
»Ich dachte, Boo-Boo würde bei euch schlafen«, sagte ich. »Ich dachte, Babys müssen bei den Eltern schlafen, um Bindungen aufzubauen oder so. Das habe ich neulich im Fernsehen gesehen. Das war zwar eine Sendung über Schimpansen. Aber da wir vom Affen abstammen, gilt das auch für uns Menschen, dachte ich. Ich brauche wirklich ein eigenes Badezimmer.« Sollte ich etwa jetzt schon unter Boo-Boo leiden?
»Marshall«, begann Mom, »vielleicht fühlt sich Teresa durch Boo-Boo zurückgesetzt …«
»Ärgere deine Mutter nicht«, warnte mich Dad.
Warum schrie Dad so? Hier stimmte etwas nicht. Sophia, Hugo und ich wussten, dass Mom das Sagen hatte. Da bemerkte ich die dunklen Ringe unter ihren Augen. »Bist du etwa krank, Mom?«, platzte ich erschrocken heraus.
»Wieso um alles in der Welt denkst du …«
»Was soll diese blöde Frage?« Dad hatte Mom schon wieder unterbrochen.
Ich wartete, dass sie ihm sagte, dass das Wort »blöd« in diesem Haus nicht erwünscht sei. Aber sie schwieg. Anscheinend galt dieses Verbot nur für Hugo und mich!
»Marshall, hast du nicht um acht Uhr einen Termin?«, fragte Mom.
Dad nahm seine Jacke von der Stuhllehne. »Dass du deiner Mutter keinen Ärger machst, sie hat genug Sorgen. Und räum dein Frühstück ab, bevor du in die Schule gehst. Du musst mehr im Haushalt helfen. Ein Badezimmer!« Er sah mich wütend an und ging.
Tränen schossen mir in die Augen. Dad hatte mich angeschrien. Er schrie mich sonst nie an. Ich war bisher das Nesthäkchen der Familie gewesen. Aber das war offensichtlich vorbei. Boo-Boo hatte mich jetzt schon von diesem Platz verdrängt.
Mom sagte: »Dad ist angespannt, weil ich letzte Nacht nicht gut geschlafen habe. Ich bin nicht krank, aber ich gehe heute nicht zur Arbeit, sondern ruhe mich ein wenig aus.« Sie zog mich an sich. »Mach dir keine Sorgen.«
Aber
sie
machte sich Sorgen. Das merkte ich genau. Als ich eine Viertelstunde später in die Schule ging, fielen mir ein paar Gesprächsfetzen ein, die ich auf dem Heimweg von Großmama T im Auto aufgeschnappt hatte. Ich hatte hinten gesessen und meine neuen Englischvokabeln geübt: schnäbeln, Fahrstuhl, Wohnung, schnackseln. Mom hatte überNannu und sein Gedächtnis gesprochen. Dad hatte gesagt, alle alten Leute würden mit der Zeit vergesslich werden, aber Mom war überzeugt gewesen, es sei mehr als das. Woraufhin Dad gemeint hatte, dass sie wegen des Babys einfach nur etwas nervöser sei als sonst. (Was ich komisch fand, weil Großmama T doch gesagt hatte, dass Dad derjenige mit den schlechten Nerven wäre.) War Nannu krank?
Ich kam an die Ecke von Jones und Hincks Street, aber niemand war da. Auch gut, wenn Elisabeth nicht mit mir zur Schule gehen wollte. Was war schon dabei, allein zur Schule zu gehen? Ich brauchte niemanden, der mit mir zur Schule ging …
Ich holte meine Bücher für die nächsten Schulstunden aus dem Schließfach, pfefferte die Tür zu und atmete tief ein. Dann entdeckte ich Big Bertha, die gerade ihr Sportzeug aus dem Schließfach nahm und es in ihren Schulrucksack stopfte. Ich klopfte ihr auf die Schulter, fünf Dollar in der Faust.
Ȁh, danke, Bertha. Tut mir
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