L wie Love
Aus lauter Trauer würde ich nie heiraten, sondern als Schlossgespenst durch die Säle irren und ewig meiner Liebe nachtrauern.
»Ist Englisch dein einziges Fach?«
Ich schreckte auf. Meine romantischen Träume zerbarsten in lauter kleine Schlosssteine. »Mathe, Sport und Sexualkunde.« Bei dem Gedanken daran zog ich eine Grimasse.
»Verzieh nicht dein Gesicht, Teresa«, ermahnte mich Großmama T. »Das ziemt sich nicht.«
»Sorry«, murmelte ich.
»Und sitz aufrecht wie eine junge Dame. Du bekommst schlechte Nerven, wenn du dich so fallen lässt.«
Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass man vom krummen Sitzen schlechte Nerven bekam. Vielleicht geraten die Nerven, die vom Po zum Gehirn laufen, durcheinander, wenn das Rückgrat nicht gerade ist, und deshalb werden sie »schlecht«.
»Dein Vater hatte als Kind auch schlechte Nerven, Gott weiß warum. Ich habe immer dafür gesorgt, dass er aufrecht sitzt.«
Ich richtete mich auf und schaute mich in dem trostlosen Wohnzimmer um. Wäre ich doch nur zu Tante Grace gegangen. Dort kümmerte es niemanden, ob ich krumm oder gerade saß. Dort würde mich Nannu in die Arme nehmen und mit mir durch das Zimmer tanzen.
»Und Geschichte«, sagte ich. »Ich muss ein Referat über den Zweiten Weltkrieg halten.«
»Beim Londoner Blitz war ich acht Jahre alt«, erzählte Großmama T.
»Du bist dabei gewesen?«, fragte ich erstaunt.
»Ja. Das Bombardement war furchtbar. Nachdem wir einmal beinahe ausgebombt worden waren, schickte michmeine Mutter aufs Land in Sicherheit. Ich gehörte zu den vielen evakuierten Stadtkindern. Ich wollte nicht fort. Ich wollte nicht weg von meiner Mutter. Aber ich hatte keine andere Wahl. Und zu dieser Zeit gehorchte man aufs Wort«, setzte sie streng hinzu.
»Wohin bist du gekommen?«, fragte ich plötzlich interessiert.
»Zu Bauern. Ich glaube, die Familie wollte vor allem jemanden für die Hausarbeit und ihre Kinder. Aber besser als die Bomben war das allemal. London stand in Flammen. Ich blieb drei Jahre lang bei dieser Familie.« Sie lächelte. »Es ging mir nicht schlecht. Wenigstens hatte ich genug zu essen, viel Milch, Äpfel und Gemüse. In London gab es kaum noch Nahrungsmittel. Aber ich vermisste meine Mutter schrecklich. Mein Vater war in Übersee, es gab also nur uns beide.«
In meinem Kopf entwickelte sich ein Plan. Ich könnte Großmama T und Nannu für mein Geschichtsreferat einsetzen! Sie waren während des Zweiten Weltkriegs beide noch Kinder gewesen. Sie waren lebendige Geschichte. Aber das Wichtigste zuerst, wie Großmama T immer zu sagen pflegte.
Ich zückte Stift und Papier. »Großmama, ich muss auch eine Hausarbeit über die englische Sprache machen. Also über das Englisch, das in England gesprochen wird«, erläuterte ich. »Was gibt es denn für typisch englische Ausdrücke?«
»Ich glaube, ich verstehe nicht ganz. Meinst du ein Wort, mit dem wir einen Gegenstand bezeichnen, das aber anders ist als das Wort, das du dafür benutzt?«
Ich nickte, so ungefähr.
»Nun, zum Beispiel sagen wir ›Fahrstuhl‹ und ihr stattdessen ›Aufzug‹.«
Ich schrieb es auf.
»Und ihr sprecht von einem ›Apartment‹ und wir von einer ›Wohnung‹.
Sie setzte die Wörterliste noch eine Weile fort. Schließlich fiel Großmama T nichts mehr ein und wir saßen ein paar Minuten stumm da.
»Möchtest du einen Tee?«, fragte sie mich schließlich.
Gibt es etwas Englischeres als Teetrinken?
»Das wäre sehr freundlich«, antwortete ich geziert. Eine typisch englische Erwiderung. Ich lernte schnell. Vielleicht hing das mit dem Geradesitzen zusammen.
Ich ging mit Großmama in die Küche und legte vier »Plätzchen« (Großmamas Ausdruck für Kekse) auf einen Teller, während sie Wasser kochte und Tee aufbrühte.
»Wolltest du irgendwann einmal zurück nach England?«, fragte ich.
»Gott behüte, nein«, sagte sie. »Es ist dort viel zu zugig.«
Windiges England.
Sie stellte zwei Porzellantassen mit Untertassen (bei ihr gibt es keine Becher) auf ein Tablett, dazu Milch und Zucker und trug es ins Wohnzimmer.
Ich folgte mit den Plätzchen. Eine sehr englische Sitte. Tee aus Porzellantassen und gekauften Plätzchen. Und wir saßen in Ohrensesseln und draußen, es war November, war es regnerischund kalt. Drinnen auch. Ich fror und wünschte, sie hätte die Heizung aufgedreht.
»Soll ich das Feuer anmachen?« Großmama T musste mein Bibbern bemerkt haben.
»Ein Feuer wäre angenehm«, antwortete ich.
Großmama T ging zum Kamin und
Weitere Kostenlose Bücher