Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich
aber auch hier im Labyrinth mitgemacht hatte, schien nun der Punkt gekommen zu sein, an dem Mary die Kraft verloren hatte, wieder aufzustehen. Alle wussten, wie sehr Mary gekämpft hatte, aber die Nachricht von Leóns Tod schien sie endgültig gebrochen zu haben.
Wie sollen wir das je schaffen? Jeb leidet unter Angstzuständen, hat kaum noch Kraft. Mischa ist verletzt und sieht aus, als hätte er eine Menge Blut verloren, und nun auch noch Mary. León ist vermutlich tot, während Kathy in den Gängen auf uns lauert. Drei Menschen, die jetzt meine Hilfe brauchen, und ich? Ich habe vielleicht die Kraft, aber keine Hoffnung für uns alle.
Leóns Tod hatte ihr endgültig alle Zuversicht geraubt. Es war zu deutlich. Sie waren ins Labyrinth gekommen, um zu sterben. Einer nach dem anderen. Zuerst hatte es Tian erwischt. Dann Kathy. Und nun León.
Falls sie die Tore jemals finden sollten, würde es eines für jeden von ihnen geben, aber wie lange noch konnten sie das alles ertragen? Wie groß konnte der Überlebenswille sein, bei all der übermächtigen Verzweiflung und den gar nicht enden wollenden Schmerzen?
Du bist für die anderen da. Sie brauchen deine Hilfe. Ohne dich wird keiner von ihnen überleben. Auch Jeb nicht.
Und du willst nicht ohne sie überleben, allein zurückbleiben.
Bei diesem Gedanken hätte Jenna am liebsten ihre Verzweiflung herausgebrüllt, aber wenn sie den anderen zeigte, dass sie am Ende allen Glaubens angekommen war, würden Jeb, Mary und wahrscheinlich auch Mischa aufgeben. Sich hinsetzen und nicht mehr aufstehen.
Ich muss für alle stark sein.
S eit einer gefühlten Ewigkeit stand León nun vor der Wand und tippte wahllos eine Zahl nach der anderen an. Zunächst hatte er darauf gewartet, dass die Wände erneut herunterfuhren, aber er wurde immer ungeduldiger. Er musste etwas tun. Außerdem konnte er nur noch an Mary denken. Ihre Haare, ihre ängstlichen Augen, in denen von einem Moment zum nächsten plötzlich eine unglaubliche Härte zu erkennen war. Er meinte spüren zu können, dass Mary unglücklich war. Dass sie ihn brauchte. Dieses Gefühl war Antrieb genug, es noch einmal mit den Zahlen zu versuchen.
Unermüdlich berührte er wahllos die wandernden Zahlen. Und dann plötzlich geschah es. Eine Tür in der Wand öffnete sich. León stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. Endlich konnte er diesen Raum verlassen. Aber er wusste: Der nächste erwartete ihn schon.
Als sich die Tür hinter ihm schloss, stellte er sich in die Mitte des neuen Raumes. Auf den Wänden blinkte der Countdown.
6:47
6:46
6:45
Die Zeit wurde knapp. León schimpfte, dann entdeckte er etwas. Die Wände zeigten nun nicht mehr nur Zahlen, sondern auch Buchstaben. Leuchtend wanderten sie über die weißen Flächen.
Sind das noch die gleichen Rätsel? Geht es immer noch um Mathematik?
Er drehte sich langsam um die eigene Achse.
Nein, sein Gefühl sagte ihm, dass sich die Aufgabenstellung geändert hatte. Es ging nicht mehr darum, etwas auszurechnen, vielmehr glaubte er, dass er etwas erkennen sollte.
Die anderen dachten von ihm, dass er weder lesen noch schreiben konnte, aber das stimmte nicht ganz. Er war in der Schule gewesen, allerdings nur bis zur fünften Klasse, danach hatte ihn seine Mutter aus der Schule genommen, damit er ihr beim Putzen half. Ein wenig Lesen und Schreiben konnte er also schon, aber für komplizierte Sachen reichte es nicht. Ein ganzes Buch zu lesen, würde er sich nicht zutrauen, aber bei einzelnen Wörtern sah das anders aus.
Vielleicht hat es mit meinem früheren Leben zu tun.
Aber was konnte es sein? Musste er ein Schlüsselwort suchen? Ein Passwort?
Vielleicht einen Namen?
Der Gedanke setzte sich in ihm fest. Er suchte die Wand ab und tippte auf die Buchstaben, die seinen Namen bildeten. Nichts. Dann versuchte er es nacheinander mit den Namen der anderen. Auch kein Ergebnis. Er versuchte es mit »Labyrinth«, »Gott«, »Stern«, »Leben« und »Tod« und allem, was ihm in den Sinn kam, aber seine Bemühungen blieben erfolglos.
Denk nach! Da sind auch Zahlen, vielleicht eine Kombination aus Buchstaben und Zahlen?
Es funktionierte nicht. Wenn er nicht bald auf eine Lösung kam, würde er hier drinnen einfach vor die Hunde gehen.
León dachte an das Wenige, das er über sich wusste. Sah noch einmal die Welten, die er mit den anderen durchlaufen hatte, die Gesichter der Jungen und Mädchen. Als er an Jeb dachte, trat dessen Gesicht deutlich vor seine Augen.
»Du
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