Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich
in ein abgehacktes Schluchzen über. Sie zog die Beine hoch und wollte Jenna abwerfen, doch Jenna wartete einfach gelassen ab und beugte sich über Mary. Für einen Moment war das Gesicht des dunkelhaarigen Mädchens frei. Jenna nahm es zwischen ihre Handflächen und strich Mary die nassen Strähnen aus der Stirn. »Mary, Mary«, sprach Jenna sanft auf sie ein. Sie schüttelte sie. Einmal. Dann noch einmal.
»Beruhige dich, Mary«, sagte sie energisch.
Marys Augen waren von Tränen überschwemmt, ihr Blick zur Decke gerichtet. »Er ist tot.« Sie murmelte es immer und immer wieder.
»Ja, aber du lebst«, flüsterte Jenna und strich ihr über das Gesicht.
»León ist tot.«
Aus dem Augenwinkel heraus sah Jenna, wie Jeb sich Mischa näherte.
»Ist das wirklich wahr?«, hörte sie ihn fragen.
Mischa nickte. »Er ist in meinen Armen gestorben.«
»Wie konnte das passieren?«
Mischa begann zu erzählen. Zunächst berichtete er von seinem Auftauchen im Labyrinth und den wandernden Zahlen, den mathematischen Rätseln.
Jenna hörte gebannt zu, selbst Mary schien seiner Erzählung zu lauschen. Als Mischa den ablaufenden Countdown erwähnte, stöhnte Jenna auf. Es war also tatsächlich so, dass ihnen die Zeit davonrannte.
»Schließlich bin ich auf León gestoßen, der in einem der Räume gefangen war. Wir sind dann gemeinsam weitergegangen, bis zu dem …« Mischas Stimme brach ab, er schluckte hart.
»Es ist okay, Mischa«, sagte Jeb. »Was ist geschehen?«
Mischa schluckte noch einmal hörbar. Er holte tief Luft, Mary saß auf dem Boden wie erstarrt. »Wir hatten gerade einen Raum verlassen und einen weiteren betreten, als der Boden unter uns aufging. Einfach so. Plötzlich war er verschwunden. Wir stürzten beide in die Tiefe. Mehrere Meter. Der Aufprall war … hart. Ich dachte, ich habe mir jeden Knochen im Leib gebrochen, aber León hatte es schlimmer erwischt. Er ist unglücklich gelandet, auf dem Kopf. Ich hörte nur, wie … irgendwas gebrochen ist … genau kann ich das nicht sagen, denn da unten war es düster.«
»War er sofort tot?«
»Nein, er hat noch von Mary gesprochen.«
Mary schluchzte laut auf. Ihr ganzer Körper bebte. Jennas tröstende Hand stieß sie weg.
»Was ha-hat er gesa-sa-agt?«, fragte Mary.
»Dass er dich liebt. Dann starb er in meinen Armen. Er hörte einfach auf zu atmen und ich war allein.«
Jeb legte Mischa eine Hand auf die Schulter. »Tut mir leid, Kumpel, dass du das erleben musstest.«
»Ich habe León immer bewundert. Er war so stark, so kraftvoll, schien unverwüstlich zu sein und nun lag er da wie zerbrochen.«
Jenna legte ihren Kopf an Marys und umarmte sie fest. Doch Mary beugte sich vornüber, die Stirn auf die Knie, und vergrub ihr Gesicht in einer Armbeuge.
»Es tut mir so leid«, sagte Jenna leise. Sie schaute auf zu den beiden Jungs.
Mischas Schultern zuckten, auch er schien zu weinen. Es war schließlich Jeb, der die Nase hochzog, sich mit den Ärmeln seines Hemdes über seine Wangen wischte und fragte: »Und wie bist du da wieder herausgekommen?«
»Dieses Scheiß-Labyrinth. Es war so einfach. Eine Tür ging plötzlich auf. Licht fiel herein. Ich folgte ihm in einen Gang, der mich schließlich zu euch brachte.«
Jeb runzelte die Stirn. »Dann müsst ihr euch zuvor auf einer anderen Ebene befunden haben. Hier drüber.«
»Muss wohl«, antwortete Mischa und zuckte mit den Schultern.
Vieles von dem, was Mischa erzählte, war für Jenna nur schwer verständlich. Räume, deren Türen sich mit mathematischen Lösungen öffnen ließen. Ein Countdown, der bei vierundzwanzig Stunden begonnen hatte. Leóns Fall in die Tiefe und sein Tod.
Sie betrachtete Mischa genauer. Sein Gesicht war geschwollen, ein Auge fast zu, die Nase schien gebrochen zu sein. Sie sah seine in die Seite gepresste Hand und vermutete, dass ihn die alte Verletzung noch schmerzte. Wenn Mischa sprach, entdeckte man eine Lücke in der Reihe seiner ehemals so strahlenden Zähne. Die Lippe war aufgeplatzt.
Das alles konnten die Folgen eines schweren Sturzes sein, aber irgendwie passten die aufgerissenen Knöchel seiner Hände nicht ins Bild. Fast sah es so aus, als hätte Mischa stundenlang auf eine Wand eingedroschen.
Vielleicht vor Verzweiflung, nachdem León gestorben war.
Jetzt war nicht der Augenblick, danach zu fragen. Mary lag noch immer zusammengekrümmt am Boden und schluchzte herzzerreißend. Erst musste sie sich um das Mädchen kümmern.
Nach allem, was sie im richtigen Leben,
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