Labyrinth der Puppen: Thriller (German Edition)
Geldautomaten abheben kann. Da ich mittlerweile nicht mehr in der Stimmung bin, mich zu besaufen, kaufe ich mir im Supermarkt einen Softdrink und schlendere in Richtung Only Books. Ich sehe auf meinem Handy nach, ob Rhoda mir eine Nachricht geschickt hat – Mist, ein Anruf in Abwesenheit. Von Rhoda um 10:17 Uhr. Ich werde sie zurückrufen, wenn ich hier fertig bin. Schon der Gedanke daran, noch einmal mit diesem Arschloch Bradley reden zu müssen, lässt mein Herz hämmern. Aber ich muss ruhig bleiben. Ich bin nur hier, um meinen ausstehenden Lohn abzuholen, nicht, um Streit zu suchen.
Die Tür des Buchladens ist verschlossen. Was soll das denn? Aber dann sehe ich durch das Schaufenster, wie Bradley mit seinem iPod am Ohr und einem Klemmbrett durch den Laden wandert. Er führt den monatlichen Bestandsabgleich durch. Und er lässt sich Zeit damit. Der Abgleich erfordert lediglich eine Stichprobenkontrolle von 30 Titeln und einen Programmdurchlauf auf dem Computer – dafür braucht man höchstens eine halbe Stunde.
Verdammter Heuchler. Mir hätte er den Arsch aufgerissen, wenn ich dafür so lange gebraucht hätte. Ich rüttle an der Tür und winke mit den Armen, aber er lauscht versunken Barry Manilow oder Britney Spears, oder was solche Wichser wie er für Schrott hören, und erst als er sich umdreht, nimmt er mich zufällig wahr. Er erstarrt, wird rot, dann blass, dann wieder rot. Er setzt sein Boss-Gesicht auf, zieht die Kopfhörer aus den Ohren und kommt zur Tür.
Er öffnet sie einen Spalt weit, als wäre ich ein Straßenräuber, und fragt: »Was willst du?«
»Ich will meinen ausstehenden Lohn abholen.«
»Hä?«
»Mein Geld. Ich will mein Geld.« Die Kellnerinnen im Café nebenan beobachten uns. »Komm schon. Lass mich rein, Mann.«
Widerwillig öffnet er die Tür etwas weiter, gerade genug, dass ich mich hineinzwängen kann. Hinter mir schlägt er sie schnell wieder zu, als hätte er Angst, von einem Ansturm unersättlicher Kunden niedergetrampelt zu werden, denen nicht klar ist, dass der Laden wegen seines hochwichtigen und hochnotpeinlichen Bestandsabgleichs geschlossen hat. Es ist Donnerstagvormittag, du Schwachkopf, da kommt sowieso keiner.
»Wenn du glaubst, dass du deinen Job zurückbekommst, hast du dich geschnitten«, sagt er. Er ist Anfang 30, redet aber wie ein alter Mann.
»Ich will nur mein ausstehendes Gehalt. Ich habe diesen Monat sieben Schichten gearbeitet.«
»Du hast – formulieren wir es höflich – gekündigt.« Er grinst. »Was bringt dich auf die Idee, dass du noch irgendwelche Ansprüche hast?«
»Das Gesetz«, antworte ich und bemühe mich, selbstsicher aufzutreten. Ich habe keine Ahnung, ob ich einen Rechtsanspruch besitze oder nicht. Ich will nur mein Geld haben und verschwinden. Jede Minute, die ich hier verbringe, ist eine Minute zu viel. Er macht eine Show daraus, etwas auf seiner Liste abzuhaken und zur Poesie weiterzuschlendern. Als ob Bücherdiebe sich ausgerechnet an Poesie vergreifen würden.
»Du willst es also auf die harte Tour, Kumpel?«, meint Bradley. »Gut. Dann ziehen wir doch das ganze Beschwerdeverfahren durch, und das Disziplinarverfahren. Und dann wollen wir in sechs Monaten doch mal sehen, wie viel Lohn wir dir noch schulden. Wir kriegen dich dran wegen vorsätzlicher Sachbeschädigung, wegen grober Insubordination, wegen ...«
Mir reicht es. »Ach, halt doch deine Fresse!«
»Was?« Bradley reißt die Augen auf. Da wird mir klar: Er hat Angst vor mir. Er glaubt, ich werde ihn schlagen oder was auch immer.
Mein Gott, ich wünschte, ich könnte so etwas wirklich tun. Aber ich verstaue die Wut in meinem Inneren. Wie oft bin ich nach der Schicht nach Hause gegangen, innerlich schreiend wegen dieses jämmerlichen Wichsers, wegen der aggressiven, stinkreichen, Geländewagen fahrenden Schlampen, die ihre Frustration über ihre vertrockneten Mösen, gescheiterten Ehen und Affären und Liftings an uns Automaten hinter der Ladentheke auslassen! Ich habe zugelassen, dass meine Würde mit Füßen getreten wird, und das alles für einen Hungerlohn.
»Du hast mich schon verstanden. Ich hab die Schnauze voll von diesem Scheißladen!« Ich muss mir alle Mühe geben, nicht zu winseln oder, noch schlimmer, zu weinen. Dieser Laden macht mich zu jemandem, der ich nicht bin, der ich nicht sein möchte. Ich will nur für immer weg von hier. »Gib mir mein Geld, und du siehst mich nie wieder.«
Er hat zu seinem alten arroganten Selbst zurückgefunden, der
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